Wer denn, wenn wir nicht ? - Ein guter Beratungskodex für Ehrenamtliche hinterlässt Lücken
Manche Fragen muss man immer wieder stellen, weil es noch keine befriedigenden Antworten gibt:
Wie soll sich eine Unterstützungskraft verhalten,
- die in einer Übungsgruppe gefragt wird „Ich hätte gerne ein Tablet. Das kann man doch online bestellen. Können Sie mir das zeigen und für mich bestellen?“
- wenn eine Teilnehmerin ihre Unterlagen mitbringt und darum bittet, ihren Rentenantrag online zu stellen,
- wenn ein Teilnehmer nach einer geeigneten Gesundheits-App bei Rückenschmerzen fragt?
Wenn diesen Bitten gefolgt wird, kann es zu Haftungsproblemen kommen. In Einführungsseminaren für ehrenamtliche Unterstützungskräfte wird überwiegend empfohlen, so etwas nicht zu tun.
Ein guter Beratungskodex führt zu Versorgungslücken
Diese Woche bin ich eher zufällig auf den Methodenkoffer des Forum Seniorenarbeit NRW gestoßen, der sehr gute Unterlagen zur Schulung und Unterstützung von Digitallotsinnen und --lotsen bietet, darunter auch einen Beratungskodex aus dem Jahr 2021 als Arbeitshilfe für angemessenes Verhalten gegenüber den Unterstützten und untereinander. Darin werden für ein Einführungsseminar 19 Regeln vorgeschlagen, die diskutiert und bei Bedarf geändert oder ergänzt werden sollen. Die folgenden Regeln sind verständlich, aber auch problematisch:
- Wir klären im Gespräch und erklären, übernehmen aber nicht.
- Wir geben keine Kennworte ein, lassen uns diese übermitteln oder schreiben sie auf.
- Wir drehen uns bei der Anzeige persönlicher Daten (Online-Banking, Gesundheitsdaten, u.a.) weg.
- Wir machen keine Kaufberatung.
- Wir installieren keine Software und weisen nur auf sichere Quellen.
Hände weg von der Tastatur oder Haftungsausschluss?
In einem Projekt mit Aufsuchender Digital-Assistenz im Rahmen der organisierten Nachbarschaftshilfe in Bremen hat die zuständige Leiterin bei einem der beteiligten Wohlfahrtsverbände klare Anweisungen mit dem Merksatz „Hände weg von der Tastatur der Kundinnen und Kunden!“ gegeben. Einen anderen Weg geht das Projekt Digitalbotschafterinnen und -botschafter in Rheinland-Pfalz. Sie erhalten in den Einführungsseminaren ein Formblatt für einen Haftungsausschluss, den sie mit ihren Kundinnen und Kunden vereinbaren sollen.
Ohne Zweifel besteht ein Haftungsrisiko, wenn eine Unterstützungskraft auf Anforderung einer unterstützten Person in deren Namen eine Überweisung online tätigt oder etwas bestellt und dabei einen Fehler macht. Denn rechtlich handelt es sich um ein Auftragsverhältnis. Bei unterstützten Personen mit schlechtem Gedächtnis kann auch im Nachhinein eine zuvor korrekte Erledigung als nicht gewünscht oder eine gelieferte Ware als nicht bestellt moniert werden. Die Träger von Unterstützungsleistungen müssen ihre ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer davor schützen. Sie können auch Missbrauch bei Hausbesuchen nicht ausschließen. Aber eine bloße Ablehnung, auch wenn sie gut begründet ist, ist für beide Seiten, Unterstützungskraft und Hilfesuchende, unbefriedigend.
Und was ist mit Fernhilfe?
Im Dezember 2022 und März dieses Jahres hatte ich auf Empfehlungen der Stiftung Warentest zu Tools für eine Fernhilfe hingewiesen. Auf einer Seite Fernhilfe wird unter dem Titel "Hilfe für Oma, Opa, Mama, Papa....." wird Schritt für Schritt beschrieben, wie man mit Teamviewer Zeit und Nerven bei der Unterstützung sparen kann. Keine Erwähnung findet die Frage, ob und wie auch Unterstützungskräfte ausserhalb der Familie solche Tools empfehlen und benutzen sollen. Wörtlich genommen bleiben zwar die Hände von der Tastatur der Unterstützten. Aber sinngemäß wäre das ein klarer Verstoß gegen die Schutzregel, der zudem noch das Risiko des Missbrauchs einschließt. In den Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass Betrüger ein derart geöffnetes Tor zum Gerät der unterstützten Person missbrauchen können.
Verschiedene Assistenzstufen
Eine befriedigende Antwort hängt m. E. von den Fähigkeiten und Möglichkeiten der zu unterstützenden Personen ab. Als eine Erkenntnis aus dem erwähnten Projekt mit Aufsuchender Digital-Assistenz wurden verschiedene Assistenzstufen unterschieden:
Bei der Qualifizierenden Assistenz wird angenommen, dass die Betroffenen in der Lage sind, etwas einmal Gezeigtes und Geübtes anschließend selbständig zu erledigen. Dies wird mit zunehmendem Alter eher seltener der Fall sein.
Für Personen, die an einer Übungsgruppe teilnehmen oder in eine Sprechstunde kommen, dürfte in der Regel die Helfende Assistenz in Frage kommen. Wenn die zu unterstützende Person gut verfolgen und nachvollziehen kann, was die Unterstützungskraft zeigt, gilt zwar „Hände weg von der Tastatur der Kundinnen und Kunden“. Aber die unterstützte Person kann ihr eigenes Gerät nutzen, indem sie Schritt für Schritt nachvollzieht, was die Unterstützungskraft auf einem Gerät der jeweiligen Organisation vorführt. Bei der Eingabe von Zahlungsdaten oder einer PIN dreht sich diese, wie oben gefordert, weg. Die PIN-Eingabe darf sie schon wegen der AGB der Bank oder Sparkasse nicht zur Kenntnis nehmen oder gar auf ihrem eigenen Gerät parallel eingeben und kann daher anschließend bei weiteren Schritten nur konkrete Anweisungen für die Nutzung der unterstützten Person auf deren Gerät geben.
Schwieriger sind die Fälle, in denen die zu unterstützende Person aufgrund körperlichen oder geistiger Einschränkungen oder aus Angst, etwas falsch zu machen, die Aktionen der Unterstützungskraft auf ihrem eigenen Gerät nicht nachvollziehen kann oder will. Wenn sie konkret sagen kann, was sie inhaltlich will, kommt eine Beauftragte Assistenz in Frage. Sie dürfte häufig bei Personen gefragt sein, die auch in hauswirtschaftlichen Angelegenheiten organisierte Hilfe erhalten oder ambulant gepflegt werden. Dabei stellen sich ja ähnliche Fragen, wie bei einer persönlichen Erledigung ähnlicher Aktionen. Wenn eingekauft wird, gibt es Kassenbelege. Bei der Online-Transaktionen ist es komplizierter. Aber wie ist es, wenn Anträge auf Papier gestellt und Formulare für eine unterstützte Person ausgefüllt werden?
Fernhilfeist innerhalb der Familie unproblematisch. Da die eisten älteren Menschen ihre digitalen Kenntnisse von Angehörigen erwerben, könnten diesen auch solche Tools für die weitere Begleitung empfohlen werden. Ausserhalb der Familie würde ich sie n nur in einem festen Betreuungsverhältnis wie der vertraglich geregelten ambulanten Pflege empfehlen. Dazu sollten die Pflegedienste einen entsprechenden Passus in den Pflegevertrag aufnehmen, der noch zu entwickeln ist.
Zur Absicherung sollte der Inhalt des Auftrags protokolliert werden und von der Bestätigung einer Bestellung ein Screenshot angefertigt werden. Vielfach wird zuvor eine Datenschutzerklärung oder eine Verschwiegenheitsverpflichtung wegen personenbezogener und vertraulicher Daten notwendig sein. Das müsste der Träger, der die Ehrenamtlichen einsetzt und vermittelt, für diese regeln. Aber es erscheint fraglich, ob diese in einem so regulierten Rahmen arbeiten wollen. Daher ist dies der Punkt, wo an Hauptamtliche aus der Altenhilfe, Sozialarbeit oder Pflege verwiesen werden sollte. Einfach gesagt, denn dazu müßte es sie in Reichweite auch mit der erforderlichen Kenntnissen der digitalen Anwendungen auch geben.
Bei den Themen Smart Home, AAS, DiGAs und DiPAs geht zusätzlich zumeist auch um eine fachliche Beratung, die in dem oben genannten Beratungskodex abgelehnt wird. Hier sollte auf die thematisch jeweils zuständigen Beratungsstellen verwiesen werde, sofern es diese vor Ort gibt und die dort Tätigen die digitalen Angebote kennen und bewerten und Hilfe leisten können.
Es geht um die Transformation der gesamten Hilfe und Beratungsangebote
Hiermit wird vielleicht etwas konkreter deutlich, was in dem Beitrag „Wer A sagt ….“ mit weiterführenden Angeboten gemeint ist. Auch der Achte Altersbericht empfiehlt die Ergänzung informeller Angebote zur Heranführung durch differenzierte institutionalisierte Beratungsangebote (S. 110). Wenn Kommunen und Verbände niedrigschwellige Angebote machen, schaffen sie selbst eine Verpflichtung, weiterführende bedarfsgerechte Angebote zu gewährleisten. Wenn NRW-Minister Laumann in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage niedrigschwellige Angebote zur Förderung digitaler Kompetenzen älterer Menschen als integralen Bestandteil kommunaler Daseinsvorsorge einstuft, gilt das für die Assistenz bei den hier genannten höherschwelligen Anwendungen mindestens in gleichem Maße, denn sie sind geeignet, einen längeren Verbleib in der eigenen Häuslichkeit zu ermöglichen und so die Gesamtkosten der Heimunterbringung zu verringern.
Schade dass die Grauen Panter es nicht geschafft haben
Doch diese Herausforderung ist gigantisch. Denn dazu müssen Tausende Mitarbeitende in der Wohn- und Pflegeberatung im ganzen Bundesgebiet zunächst selbst fortgebildet werden und auch ein Teil der rund 500.000 Kräfte in der ambulanten Pflege, damit sie zumindest bei DiGAs und DiPAs helfen können. Doch es gibt einen Digitalen Notstand in einer Branche, die sich insgesamt in einem Notstand befindet und andere Prioritäten setzen muss.
Empfehlungen von Kommissionen, die die Bundesregierung selbst eingesetzt hat, wie die für den Achten Altersbericht, Appelle von Wohlfahrtsverbänden und Argumente und Zahlen aus der Wissenschaft zeigen bisher keine Wirkung. Die Politik sieht über die einführenden niedrigschwelligen Angebote nicht hinaus. In den für Seniorinnen und Senioren zuständigen Ministerien in Bund und Ländern ist eine Bereitschaft zu entsprechenden Programmen für eine Transformation der gesamten Altenhilfe nicht zu erkennen. Landtage könnten Anhörungen zum Thema Demografischer Wandel und Digitale Teilhabe im Alter durchführen, tun es aber nicht. Auch hier gilt der Titel des letzten Beitrags „Ohne Druck kein Ruck“ und es bleibt die Frage, wer wie den erforderlichen Druck aufbauen kann. Der noch zunehmende Anteil älterer Menschen braucht eine wirksame politische Stimme. Die Grauen (Panther) haben es nach Fusionen und Spaltungen bei der Bundestagswahl 2021 nach dem amtlichen Wahlergebnis nur auf 2.368 Erststimmen und 19.443 Zweitstimmen, gleich +/- 0,00 Prozent gebracht.
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