Wer "A" sagt, sollte auch "B" sagen - Was auf niederigschwellige Einführungen folgen sollte
Im vorangegangenen Beitrag habe ich auf die Notwendigkeit der Ergänzung der bisher überwiegenden niedrigschwelligen Einführungsangebote hingewiesen, behauptet, dass es dafür bisher keine konkreten und systematischen Vorschläge gibt und eine eigene Systematik angekündigt. Diese soll hier erläutert werden. Sie ist sicherlich nicht vollständig und sollte ergänzt und auch modifiziert werden. Kommentare sind daher sehr willkommen.
Mir geht es aktuell vor allem darum, den für die Altenhilfe zuständigen Stellen aufzuzeigen, was unter der von der Kommission für den Achten Altersbericht geforderten "Diversifizierung und Professionalisierung" der Unterstützungsangebote konkret zu verstehen ist und was Assistenzinfrastrukturen mindestens beinhalten sollten, um dann über Prioritäten zu diskutieren.
(1) Erfahrungsorte:
Erfahrungsorte im engeren Sinne sollen über mögliche digitale Dienste informieren, sie vorführen und Übungsmöglichkeiten anbieten. Sie sollen Ängste überwinden helfen, Interesse wecken und zu mehr motivieren. Ob sie dies bei der Mehrzahl der älteren Offliner leisten können, ist fraglich. Ein großer Teil ist nämlich davon überzeugt, dass digitale Angebote ihnen keinen Nutzen bringen, so dass sie keinen Grund haben, sich zu informieren und einen Erfahrungsort aufzusuchen. Daher werden ergänzend aufsuchende Angebote empfohlen, die Vorführungen an Orten machen, an denen sich ältere Menschen aufhalten, auf Wochenmärkten, in Seniorentreffs und Begegnungsstätten. Sie können von Hauptamtlichen und Freiwilligen in diesen Einrichtungen gemacht werden oder von mobilen Teams wie im Projekt Digitaler Engel, wo ein Bus solche Orte anfährt. In der Evaluation der Erfahrungsorte im Rahmen des DigitalPakt Alter haben die Leitungskräfte eingeräumt, dass insbesondere für Hochaltrige viel mehr Hausbesuche erforderlich sind, aber dafür oft die Ressourcen fehlen. Und es gibt inhaltliche Grenzen, was in diesem Format gezeigt werden kann und was nicht. Niedrigschwellige Anwendungen der Kommunikation und Informationssuche können mit den eigenen Geräten der Unterstützungskräfte gezeigt werden. Anders ist es bei Smart Home- und E-Health-Anwendungen. Hier sind teilweise teure Geräte und spezielle Fachkenntnisse für die Bedienung und Erläuterung erforderlich. Daher sind ergänzend Angebote von bereichsspezifischen Fachstellen erforderlich.
(2)Kompetenzförderung
Wenn Interesse geweckt werden konnte, geht es um die eigentliche Kompetenzvermittlung durch Üben, Üben und nochmal Üben. Dabei sollte zwischen Angeboten zur Vermittlung von Basiskompetenzen unterschieden werden, wie sie der Digital-Index definiert hat, und Kursen, die ein vertieftes Verständnis vermitteln. Der aktuelle Digital-Index unterscheidet folgende fünf Basiskompetenzen (a) die Fähigkeit Informationen zu finden, (b) Fotos und Videos mit dem Smartphone zu versenden, (c) ein Textprogramm zu nutzen, (d) Smartphone-Funktionen anzupassen sowie (e) starke Passwörter zu verwenden. Über diese Bedienkompetenzen verfügen aktuell nur 49 % der Befragten (S. 26). Grundsätzlich können diese mit entsprechend geschulten Freiwilligen gefördert werden. Für Kurse zur Vermittlung eines Verständnisses, z.B. von Themen wie Sicherheit, Fake News oder KI sollten Fachleute eingeladen werden.
(3) Digitale Pannenhilfe / Digitalambulanzen
Weil der Kompetenzerwerb insbesondere von Problemlösungskompetenzen bei älteren Menschen nur selten gelingt und sich viele bei auftretenden Problemen nicht selbst helfen können, werden entsprechende Hilfeangebot letztlich entscheidend für die Digitale Teilhabe, als Nachsorge nach dem Besuch von Kursen oder Übungsgruppen und als Hilfe für die überwiegende Mehrheit, die ihre Basiskompetenzen von Verwandten und Bekannten erworben haben. Im betrieblichen Zusammenhang spricht man vom First-Level-Support. Eine zentrale Anforderung an en entsprechende Angebote ist neben der Fachkompetenz der Unterstützungskräfte die Erreichbarkeit und Verlässlichkeit der Angebote zu den jeweils angegebenen Zeiten.
Bisher sind solche Hilfsangebote die Ausnahme, was einer der Gründe für die Nicht-und Wenignutzung älterer Menschen sein dürfte. Die Erfahrungssorte mit den Freiwilligen können das nicht leisten, weil diese nicht in feste Dienstpläne eingebunden werden können und vor allem ihre eigenen Erfahrungen weitergeben, die nicht alle Varianten von Geräten und Anwendungen umfassen. Daneben oder in Verbindung damit ist für ältere Menschen, die über keinen eigenen Zugang verfügen oder aufgrund von Einschränkungen wichtige Angebote nicht nutzen können, eine helfende oder stellvertretende Assistenz bei konkreten Anliegen erforderlich.
(4) Professionelle bereichsspezifische Servicestellen
Eine weitere große Herausforderung besteht in der Hinführung und Unterstützung bei den höherschwelligen Anwendungen und assistiven Technologien, die erst eine echte Teilhabe im Alter ermöglichen. Diese sollte durch professionelle bereichsspezifische Servicestellen erfolgen. Wo es Fachkräfte gibt, wie in den Bereichen Wohnen und Pflege, kennen diese sich besser aus, müssen jedoch die digitalen Angebote beherrschen und bewerten können. Diese Einrichtungen unterliegen selbst der digitalen Transformation.
Für einen telefonischen Support bei den verschiedenen Transaktionen, die Wege ersparen, sollten die Anbieter von Onlinediensten in Bereichen der Daseinsvorsorge verpflichtet werden, einzeln oder gemeinschaftlich einen Second-Level-Support sieben Tage in der Woche von 8 bis 20 Uhr bereitzustellen, bei dem man spätestens nach 10 Minuten Wartezeit jemanden erreicht.
Zwingend geboten erscheinen solche bereichsspezifischen Servicestellen für die Online-Angebote der Verwaltung. Für die Mitarbeitenden in den Verwaltungen gibt es für deren Nutzung digitaler Verfahren einen telefonischen und persönlichen Support. Bürgerinnen und Bürger als gelegentliche Nutzende benötigen nicht weniger sondern mehr Unterstützung als die Mitarbeitenden, die jeden Tag mit den Verfahren arbeiten. Für ältere Menschen, die solche Service-Stellen nicht aufsuchen können, sollten bei entsprechendem Nachweis auch Beschäftigte der Verwaltung nach Hause kommen und assistieren bzw. Support leisten. Dasselbe gilt für ältere Menschen in Wohn-und Pflegeheimen.
Andere Prioritäten
Dies Übersicht ist sicher nicht vollständig und kann auch noch weiter differenziert werden. Aber eine zentrale Botschaft läßt sich damit verdeutlichen. Zurzeit werden die falschen Prioritäten bei der Förderung von Unterstützungsangeboten gesetzt. Wenn nachweislich die Mehrzahl der älteren Offliner ihre (lückenhaften) Kompetenzen nicht in Erfahrungsorten erworben hat, sondern von Angehörigen und Bekannten, liegt es nahe, daran anzuknüpfen.
Von den vier unterschiedenen Angebotstypen dürfte nach der hier vertretenen Auffassung der First Level Support am meisten dazu beitragen, die Digitale Teilhabe im Alter zu verbessern. Ältere Menschen mit ihrer geringer empfundenen Selbstwirksamkeit brauchen so etwas wie ein Rettungsboot, das im Notfall schnell und einfach erreichbar ist, bevor sie sich auf digitale Abenteuer einlassen.