Hochaltrige einfach ignoriert - Statistisches Bundesamt erhebt Daten zur Internetnutzung nur bis 74 Jahre
von der Themenseite des Statistischen Bundesamtes
Aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes
Die Tagesschau, Die Zeit und viele Tageszeitungen haben diese Meldung des Statistischen Bundesamtes gebracht:
"WIESBADEN – Ob Terminvereinbarungen, Ticketbuchungen oder Überweisungen – viele Dienstleistungen werden (fast) nur noch online angeboten. Für Menschen ohne Internet wird der Alltag zunehmend schwieriger zu bewältigen. Gut 5 % der Menschen im Alter zwischen 16 und 74 Jahren waren im Jahr 2023 in Deutschland sogenannte Offliner – sie hatten noch nie das Internet genutzt. Das entspricht 3,1 Millionen Menschen in Deutschland, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt.
Am größten war der Anteil derer, die das Internet noch nie genutzt haben, in der Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen: Hier war gut ein Siebtel (15 %) offline. In der Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen hatten knapp 5 % das Internet noch nie genutzt. Bei den 16- bis 44-Jährigen gab es noch 2 % Offliner." Aber das ist nicht richtig!
Am größten ist der Anteil bei denen, die gar nicht befragt wurden
In keinem Bericht wurde gefragt, wie es bei der Altersgruppe über 74 Jahre aussieht. Dazu sagt das Statistische Bundesamt nichts. In den methodischen Erläuterungen zu der Erhebung und der Stichprobe wird die Repräsentativität für die Bevölkerung von 14 bis 74 Jahre betont, aber nicht diese Altersbeschränkung. Nach der Bevölkerungsstatistik des Statistischen Bundesamtes waren 2022 immerhin 7,2 % der Bevölkerung bzw. drei Millionen Menschen zwischen 80 und 100 Jahre alt. Ich vermute, die Beschränkung auf 74 Jahre als Obergrenze ergibt sich daraus, dass es sich um eine EU-weit standardisierte Erhebung handelt und sich das Statistische Bundesamt an diese Vereinbarung hält. Es ist auch methodisch schwierig, hochaltrige Menschen zu befragen und für diese eine repräsentative Stichprobe zusammenzustellen, da die Antwortbereitschaft mit zunehmendem Alter abnimmt. Aber darauf muss hingewiesen werden.
Auch noch falsche Interpretationen
In den Presseberichten ist nicht nur diese Einschränkung unbemerkt und unkommentiert geblieben. Teilweise werden die Daten auch noch falsch interpretiert.Zum Beispiel wenn Die Zeit schreibt: "Der Alltag ohne Internet wird immer herausfordernder. Dennoch haben 2023 viele Deutsche darauf verzichtet: Jeder 20. war ein sogenannter Offliner." "Verzichten" ist wohl nicht der passende Ausdruck für die sehr vielfältigen Gründe, warum jemand nicht online ist, angefangen von der technischen Verfügbarkeit am Wohnort, über die Kosten bis zu den körperlichen und geistigen Ressourcen für einen Kompetenzerwerb und eine selbständige Nutzung. Die Bremer Erhebung aus 2021 liefert dazu aufschlussreiche Daten. Die älteren Menschen in Wohn- und Pflegeheimen, in denen immer noch kein WLAN angeboten wird, verzichten nicht, sondern werden ausgeschlossen.
Der Hinweis auf die zunehmenden Schwierigkeiten im Alter bei den 15 % Offlinern im Alter 65- bis 74 Jahre ist ebenfalls irreführend. Denn die Feststellung, dass jemand das Internet nutzt, bedeutet nicht, dass er bzw. sie "Terminvereinbarungen, Ticketbuchungen oder Überweisungen" online tätigt oder tätigen kann. Solche höherschwelligen Anwendungen, bei denen man sich registrieren und authentifizieren muss, nutzen je nach Altersgruppe nur die Hälfte bis maximal zwei Drittel der Onliner.Die aktuelle Herausforderung liegt im demografischen Wandel und bei dem steigenden Anteil Hochaltriger
In der Bremer Umfrage 2021 waren in der Altersgruppe 70 - 74 Jahre 10% offline, etwas weniger als in der aktuellen bundesweiten Umfrage.Entscheidend für die Beurteilung der digitalen Teilhabe der älteren Bevölkerung ist jedoch eine differenzierte Betrachtung der höheren Altersgruppen. In der Altersgruppe 80 - 84 Jahre waren es 37% und in der Altersgruppe 85 - 89 sogar 56 %.
Im Zuge des demografischen Wandels wir der Anteil dieser Altersgruppen an der Gesamtbevölkerung noch steigen. Statt sie statistisch zu ignorieren ist im Gegenteil ihre nähere Betrachtung gesellschaftlich und politisch besonders wichtig. Denn es ist das politische Ziel, ihnen mit Altersgerechten Assistenzsystemen,Digitalen Gesundheits- und Pflege-Apps das Leben leichter zu machen und den Anstieg der Kosten im Gesundheitswesen und der Pflege zu verringern. Damit diese Hochbetagten diese Chancen nutzen können, müssen sie jedoch ganz anders befähigt und unterstützt werden, als diejenigen, die gerade aus dem Beruf kommen. Was dazu im einzelnen erforderlich ist, haben der Verein Wir Verbraucher in NRW und die Landesseniorenvertretung NRW in 11 Forderungen zusammen gefasst. Meine diesen Forderungen zugrundeliegende Expertise mit 14 Empfehlungen stelle ich diese Woche auf der Frühjahrsakademie des Forum Seniorenarbeit NRW mit Daten und Fakten belegt vor. Die Folien können hier heruntergeladen werden.
Weitere Infos: Diitale Teilhabe FJ-Akad 4-24 .pdfAnsehen
Im März wurde der DigtalIndex 2023/24 veröffentlicht, der zwar keine Daten zum kalendarischen Alter, aber zu Generationen x bis 1945 beinhaltet https://initiatived21.de/uploads/03_Studien-Publikationen/D21-Digital-Index/2023-24/d21digitalindex_2023-2024.pdf