Strohfeuer Digitaltag - Zeit für einen Protesttag wegen fehlender Reformen
Die Unterstützer der Initiative Digital für alle. Quelle: https://digitaltag.eu/
Wer hat es mitbekommen?
Am 7. Juni war wieder EU-weiter Digitaltag. In Deutschland hatte die Initiative "Digital für alle" wieder zu Veranstaltungen zur Förderung Digitaler Teilhabe aufgerufen und wieder sind mehr als 2.000 Angebote gemeldet worden. Und wieder hat BITKOM Research eine Umfrage zur Digitalen Teilhabe veröffentlicht. Das alles nun zum fünften Mal.
Aktualisiert wurde auch der jährliche Appell, mit dem dazu aufgerufen wird, "digitale Teilhabe und Kompetenzen zu stärken, digitales Engagement zu fördern und Digitalisierung überall für alle Menschen erlebbar zu machen." Ist das bisher gelungen, wird sich jetzt etwas ändern oder ist es Zeit für einen Strategiewechsel ?
Die Zahlen: Ältere fühlen sich noch stärker abgehängt
Schauen wir auf die BITKOM-Zahlen. In der Zusammenfassung heißt es:
- "Eine große Mehrheit der Deutschen (86 Prozent) sieht die Digitalisierung grundsätzlich positiv und das quer durch alle Altersgruppen. So stimmten 85 Prozent der Befragten der Aussage "Digitale Geräte und Anwendungen machen mein Leben leichter" zu." Das git auch für drei Viertel der älteren Menschen über 65 Jahre.
- Aber es fühlen sich "vier von zehn Deutschen von digitalen Technologien überfordert. Fast die Hälfte (44 Prozent) der Befragten gaben an, sie hätten "Angst, der technischen Entwicklung nicht folgen zu können". In der Altersgruppe 65-74 Jahre sind es 51 Prozent und in der Altersgruppe 75+ sogar 66 Prozent.
- "Insgesamt 63 Prozent und somit mehr Menschen als in den Vorjahren sehen Deutschland als digital gespalten. Der Aussage "Wer sich nicht gut mit digitalen Geräten und Anwendungen auskennt, hat es im Alltag zunehmend schwer“ stimmte eine deutliche Mehrheit der Befragten (77 Prozent) zu."
- "Eine wichtige Rolle spielt dabei die Angst vor fehlendem Datenschutz. Als Hauptgrund für die Nichtnutzung digitaler Geräte und Anwendungen wird von 70 Prozent die Sorge um die Sicherheit ihrer Daten angeführt. Ein weiteres Problem scheint das Know-How zu sein. Ein Drittel der Deutschen (34 Prozent) benutzt aufgrund von fehlendem technischem Wissen digitale Geräte und Anwendungen nicht."
Was soll getan werden?
2023 wurde auch gefragt "Welche Maßnahmen sollen zur Förderung digitaler Teilhabe umgesetzt werden?" Die Antworten zeigt die folgende Tabelle aus der Präsentation der Ergebnisse. Sie stammen von allen Befragten über 16 Jahre, nicht nur von älteren Menschen, und belegen, was seit Jahren auch aus anderen Studien bekannt ist. Nicht nur mehr Förderung von Medienkompetenz, WLAN Zugang und einfachere Anwendungen, sondern 65 Prozent halten auch "Unterstützungsangebote, z. B. Begleitpersonen, die Bürgerinnen und Bürgern bei Digitalthemen helfen" für erforderlich.
Quelle:https://digitaltag.eu/sites/default/files/2023-06/230615prasentationpressekonferenzstudienergebnisse.pdf
Der jährlich aktualisierte Appell mit dem Titel "Digitale Teilhabe jetzt umfassend ermöglichen!" nennt in den Überschriften folgende Ziele und Maßnahmen
- Digitale Spaltung überwinden, u.a. Hilfestellung für ältere Menschen ausbauen
- Digitale Kompetenzen in den Fokus rücken
- Digitales Engagement stärken
- Digitalisierung überall erlebbar machen.
Zu den beiden ersten Punkten ergreift die Initiative selbst kaum Maßnahmen, zur Stärkung und Anerkennung von Engagement schreibt sie jährlich einen Preis für Digitales Miteinander aus, und diesem Ziel sowie dem letztgenannten dient vor allem der Digitaltag. Aber was heißt "Digitalisierung erlebbar machen"? Jeder und jede erlebt immer wieder Probleme mit der Digitalisierung. Gemeint ist wohl, den Nutzen erkennen und etwas ausprobieren können. Leisten das die Angebote zum Digitaltag?
Ich habe einen nicht repräsentativen Test gemacht. Weil die Politik davon überzeugt ist, dass mit der Digitalisierung der Verwaltung alles einfacher wird und gleichzeitig bei Umfragen zu Problemen älterer Menschen mit digitalen Angeboten die Verwaltung ganz oben steht, habe bei der Suche nach Angeboten das Thema "Politik und Verwaltung" und die Zielgruppe "Ältere Menschen" ausgewählt. Mit den sinnvollen Zusatzkriterien "Vor Ort" und "Für Anfänger" gab es bundesweit für die gesamte Woche keinen einzigen Treffer und auch ohne diese Zusatzkriterien, also einschließlich Online-Angebote, ebenfalls nicht. Bei einem zweiten Versuch mit dem Thema "Gesundheit" gab es für die Zielgruppe ältere Menschen immerhin einen Treffer, ein Beratungsangebot für ein längeres Leben zu Hause des Kompetenzzentrums Pflege 4.0 in Berlin.
Das heißt weder Verwaltungen, noch Gesundheits- und Pflegereinrichtungen haben zum Beispiel mit einem Tag der offenen Tür ihre digitalen Angebote für ältere Menschen erfahrbar gemacht. Stattdessen gab es viele Möglichkeiten, Spiele und KI-Anwendungen auzuprobieren, über KI zu diskutieren und vieles mehr, aber kaum ein Angebot bei dem ältere Menschen digitale Teilhabe erleben können, wenn sie denn überhaupt davon Kenntnis vom Digitaltag und seinen Angeboten erlangt haben.Um digitale Angebote für die älteren Kundinnen und Kunden positiv erfahrbar zu machen, müssen Verwaltungen und alle Dienstleister, nicht nur im Bereich Gesundheit und Pflege, deutlich mehr tun und das nicht nur einmal im Jahr. Und es muss viel mehr Erfahrungsorte mit niedrigschwelligen Schnupperangeboten und vor allem einen gut erreichbaren und langfristig gesicherten Support mit Sprechstunden, telefonischer Hotline und bei Bedarf Hausbesuchen geben (siehe oben ("Begleitpersonen"). Einmal im Jahr Events mit Nutzungsmöglichkeiten und Diskussionen über Digitale Themen anzustoßen, erreicht die älteren Menschen nicht, denen Teilhabe ermöglicht werden soll, und hat bisher auch nicht andere zur Schaffung der erforderlichen Strukturen über Reformen und zu sozialen und organisatorischen Innovationen in der Altenhilfe bei den Kommunen und den Sozialverbänden geführt. Daher sehe ich darin nur ein Strohfeuer.
Was tun die Unterstützer?
Bei allen Appellen, dass etwas getan werden soll, ist es sinnvoll, auch zu sagen wer es tun soll. Naheliegend ist es zu fragen, was denn die Unterzeichner eines Appells zu der Erreichung der jeweiligen Ziele konkret beitragen. Die Initiative ist stolz auf die über 25 Unterstützer. Wie das Bild oben zeigt, sind es ausschließlich Organisationen, überwiegend Verbände, die von Mitgliedsbeiträgen und/oder öffentlicher Förderung leben. Sie können zu den erforderlichen Reformen anregen und daran mitarbeiten, aber nicht die dazu erforderlichen Mittel aus eigener Kraft aufbringen. Die Finanzierung der in der Umfrage für erforderlich gehaltenen Maßnahmen überall in Deutschland müssen die Kommunen und die Sozial bzw. Seniorenministerien auf Landes-und Bundesebene leisten. Das haben sie trotz vieler Appelle bisher nur fast unterhalb der Wahrnehmungsgrenze getan.
Es ist Zeit für einen Protesttag
Wenn schon an einem Tag für Digitale Teilhabe geworben werden soll, dann sollte es im kommenden Jahr am 27. Juni 2025 ein bundesweiter Protesttag gegen nicht eingelöste Versprechen sein. Die seit Jahren zu hörenden und zu lesenden Beteuerungen der Regierungen auf Landes- und Bundesebene, dass bei der Digitalisierung niemand abgehängt und alle mitgenommen werden sollen, füllen ein ganzes Bücherregal. Nicht nur die Sozialverbände fordern schon lange eine stärkere Förderung nachhaltiger Unterstützungsangebote, auch die von der vorherigen Bundesregierung eingesetzte Kommission für den Achten Altersbericht hat dies 2020 mit Fakten wissenschaftlich belegt nachdrücklich und konkret getan. Umgesetzt wurde davon kaum etwas. Meine Evaluation der vom DigitalPakt Alter geförderten 150 Erfahrungsorte hat darauf aufbauend konkrete Empfehlungen zur Professionalisierung, und Diversifikation für das BMFSJ geliefert. Aber nach wie vor beschränkt sich das Ministerium darauf, die Geschäftsstelle und jährlich 50 Erfahrungsorte für drei Monate mit 2.000 Euro zu fördern. Angesichts der Größe der Herausforderung ist dies - mit Verlaub gesagt - geradezu lächerlich oder beschämend und erfordert einen öffentlichen Protest.
Anders als die Jugend, die gegen zu wenig Klimaschutz eine eigene Protestbewegung geschaffen hat, neigen ältere Menschen nicht zu solchen Maßnahmen, um mehr für ihre Zukunft in einer zunehmend digitalisierten Welt zu fordern. Das müssen daher andere anstoßen und organisieren. In dem Beitrag "Ohne Druck Kein Ruck" habe ich Hoffnung in die Seniorenvertretungen gesetzt. Aber anscheinend neigen sie noch nicht einmal zu förmlichen Anfrage bei den Kommunen und auf Landesebene, wie dort jeweils digitale Teilhabe älterer Menschen gefördert wird. Daher liegt meine Hoffnung nun bei den Unterstützern der Initiative "Digital für alle". Alle, die den Appell unterzeichnet und damit die Unterstützung der Ziele bekundet haben, könnten zunächst jeder für sich klären, was sie zur Digitalen Teilhabe insgesamt und besonders im Alter in ihrem Zuständigkeitsbereich tun können, wieviel das kosten würde und wer für die Finanzierung in Frage kommt. Die Initiative kann das koordinieren, Überschneidungen und sinnvolle Kooperationsmöglichkeiten identifizieren und anregen. Am 27. Juni 2025 findet dann in jedem Bundesland mindestens eine Protestveranstaltung statt, bei der die erarbeiteten Forderungen den jeweiligen Landesregierungen übergeben werden.....
Noch glaube ich nicht daran. Aber wenn Sie auch der Auffassung sind, dass man nicht länger geduldig oder frustriert den immer gleichen Worten ohne entsprechende Taten zuhören kann und wenn auch Sie einen Protest für erforderlich halten, damit die Versprechen eingelöst werde, und wenn Sie die Idee eines bundesweiten Protesttags für eine gute Idee halten, dann leiten Sie diesen Beitrag weiter. Mal sehen was daraus entsteht. Im Digital-Deutsch nennt man das Open Innovation.
Den Appell der Initiative "Digital für alle" finden Sie hier:
Weitere Infos: appelldfadigitale-teilhabefebruar-2024.pdfAnsehen
Guten Tag Herr Kubicek, Ich kann die Idee „Protesttag“ nur unterstützen. Und kann berichten von Seniorenbeiräten, die dem Formalismus huldigen. Auf meine Bitte, die Ergebnisse meiner Befragung (u.a. Digitalisierung im Alter) vorzustellen, gab es noch nicht einmal eine Antwort; auf meine Nachfrage hin wurde mir erklärt, dass ich einen Antrag stellen müsse, um gehört zu werden .. .auf den Antrag habe ich verzichtet … Andere Beispiele könnten folgen … eine VHS will nur Netzwerker, Einzelinitiativen (Digitalisierung im Alter) sind nicht willkommen. Viele Grüße Albert Noll