Beginn einer Zeitenwende bei der Förderung Digitaler Teilhabe älterer Menschen – NRW als Vorreiter ?
Nicht eingelöste Versprechen
Seit langem versprechen Politikerinnen und Politiker auf Bundes- und Landesebene, dass bei der fortschreitenden, politisch erwünschten und staatlich geförderten Digitalisierung aller Lebensbereiche niemand zurückgelassen und von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden soll, sondern dass alle auch digital teilhaben können sollen. Dass vor allem viele ältere Menschen dazu Unterstützung benötigen, ist unbestritten. Aber die verstreuten, von Sozialverbänden und Initiativen, häufig mit Hilfe von Ehrenamtlichen oder Freiwilligen erbrachten Erfahrungs- und Lernangebote reichen quantitativ und qualitativ nach einhelliger Einschätzung aller in diesem Bereich Tätigen bei weitem nicht aus. Dazu kann auf die umfassende Analyse im Achten Altersbericht mit dem Titel "Ältere Menschen und Digitalisierung“ oder als konkretes Beispiel auf meine Evaluation der 150 im Rahmen des DigitalPakt Alter geförderten Erfahrungsorte verwiesen werden. Die Kommission bezeichnet "die Landschaft dieser Angebote (als) insgesamt heterogen, unübersichtlich und instabil" und kritisiert, dass sich diese Angebote zumeist auf die Bedienung von Geräten konzentrieren und Orientierungs- und Gestaltungskompetenzen zu kurz kommen.
Kommunale Altenhilfe
Ebenfalls schon lange argumentiere ich, dass die Unterstützung älterer Menschen zur Digitalen Teilhabe eine Aufgabe der kommunalen Altenhilfe nach § 71 SGB XII ist. Diese „soll dazu beitragen, Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern und alten Menschen die Möglichkeit zu erhalten, selbstbestimmt am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen und ihre Fähigkeit zur Selbsthilfe zu stärken.“
Es kann keinen Zweifel geben, dass die Nutzung digitaler Angebote in allen Lebensbereichen den meisten älteren Menschen mehr Schwierigkeiten macht als Jüngeren und dass es Möglichkeiten gibt, diese Schwierigkeiten zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern: Durch die Förderung eines geeigneten Zugangs und die Befähigung zur selbstbestimmten Nutzung mit den jeweils erforderlichen digitalen Kompetenzen und, wo dies aufgrund körperlicher oder geistiger Einschränkungen nicht möglich ist, durch geeignete Assistenz.
Doch trotz dieser offensichtlichen Entsprechung kann niemand aus dieser gesetzlichen Bestimmung einen Rechtsanspruch auf lokale Unterstützung ableiten. Denn nach einheitlicher Rechtsauffassung bedeutet das „soll“ im Wortlaut, dass die kommunale Altenhilfe keine Pflichtaufgabe ist und die Kommunen einen großen Gestaltungsspielraum haben. Dies wurde im November 2022 in einem von der BAGSO in Auftrag gegebenen Gutachten bestätigt. Und das gilt dann auch, wie in dem entsprechenden Blog-Beitrag vom 6.12.2022 ausgeführt, auch für die Digitale Teilhabe.
Landesinitiativen
Das Gutachten enthält allerdings auch den Hinweis, dass jedes Bundesland weitergehende Bestimmungen erlassen kann, wie dies auch der Siebte Altersbericht gefordert hat. Bisher scheint Berlin das einzige Bundesland zu sein, in dem an einem Umsetzungsgesetz gearbeitet wird. Dort wird seit mehr als zwei Jahren mit der Beratung von Prof. Thomas Klie, Mitglied der Kommission für den Siebten Altersbericht, an einem Altenhilfestrukturgesetz gearbeitet. Im April hat der Landesseniorenbeirat einen Gesetzentwurf vorgelegt. Er regelt verbindliche Ansprüche auf bestimmte Leistungen, Strukturen, die Finanzierung u.a. Bei den einzeln aufgeführten Leistungen fehlt allerdings die Digitale Teilhabe. Der Senat hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt und holt mehrere Gutachten ein.
Daseinsvorsorge
Anders wäre die Anspruchsgrundlage, wenn Digitale Teilhabe generell oder insbesondere für ältere Menschen als eine Aufgabe der Daseinsvorsorge anerkannt würde. Wie in meinem Beitrag vom 11.Oktober ausgeführt wurde, hat sich der Katalog der zur Daseinsvorsorge gehörenden Leistungen mit der gesellschaftlichen Entwicklung ständig erweitert.
In Bezug auf die Digitale Teilhabe wurde bisher nur der Netzzugang als Aufgabe der Daseinsvorsorge gesetzlich anerkannt und 2022 mit einer Novellierung des Telekommunikationsgesetzes ein Anspruch von Privatpersonen auf einen schnellen Internetzugang begründet. Die Forderung der Kommission für den Achten Altersbericht, den Zugang im Bedarfsfall auch mit der Finanzierung eines geeigneten Gerätes über Sozialleistungen zu ermöglichen, blieb bisher in der Gesetzgebung ohne Reaktion. Digital teilhaben kann jedoch nur, wer auch über die erforderlichen Kompetenzen für eine selbstbestimmte Nutzung verfügt. Ältere Menschen konnten diese Kompetenzen nicht während ihrer Schulzeit erwerben und viele - vor allem Frauen - auch nicht in ihrem Berufsleben. Daher sollte selbstverständlich sein, dass neben den Milliarden für die Förderung digitaler Kompetenzen für Schülerinnen und Schüler bedarfsgerechte Schulungs- und Übungsmöglichkeiten für ältere Menschen als Daseinsvorsorge begriffen und entsprechende Angebote flächendeckend gewährleistet werden.
Bundesregierung will prüfen, obwohl schon einmal entschieden war
In ihrer Stellungnahme zum Achten Altersbericht schreibt die Vorgängerregierung im August 2020:
„Im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten sollten alle staatlichen Akteure gute Rahmenbedingungen für eine sichere und souveräne Techniknutzung schaffen und unterhalten. Die Bundesregierung wird prüfen, wie sich die von der Sachverständigenkommission aufgestellte Forderung nach Sicherstellung der digitalen Daseinsvorsorge auf allen staatlichen Ebenen umsetzen lässt.“ (S. 8)
2017 war die damalige Bundesregierung schon weiter. Im Raumordnungsbericht 2017 mit dem Titel „Daseinsvorsorge sichern!“ schrieb sie:
»Neben der Verfügbarkeit einer angemessenen Basisinfrastruktur (leistungsfähiges Breitband) zählen hierzu die Verbreitung geeigneter Endgeräte bei den Zielgruppen und vor allem eine entsprechende Einstellung zu neuen digitalen Leistungen sowie eine angemessene Kompetenz der Nutzerinnen und Nutzer« (BBSR 2017, S, 122)
Im Folgebericht war davon keine Rede mehr. Bemerkenswert ist, dass beide Zitate aus der Ära Merkel stammen.NRW aktuell als Vorreiter
Bisher sind noch keine Ergebnisse der angekündigten Prüfung bekannt geworden und sind angesichts der aktuellen Auseinandersetzung zwischen Kommunen, Ländern und Bund über die Kosten der Migration und Integration auch nicht in Kürze zu erwarten. Doch aus Nordrhein-Westfalen gibt es ein bemerkenswertes Signal. Im Vorfeld der im letzten Beitrag behandelten Tagung im Düsseldorfer Landtag hat die Abgeordnete Inge Blask (SPD) eine Kleine Anfrage an die Landesregierung zum Thema Steigerung der digitalen Kompetenz älterer Menschen in NRW" gestellt. Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat sie am 2. Oktober „namens der Landesregierung" beantwortet. In dieser Antwort heißt es u.a.:
„Die Vorhaltung von niedrigschwelligen und bedarfsgerechten Angeboten zur Steigerung digitaler Kompetenzen älterer Menschen ist als ein integraler Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge anzusehen (vgl. Sachverständigenkommission zur Erstellung des Achten Altenberichts der Bundesregierung, Drs. 19/21650, S. 134). Die landesseitigen Unterstützungsformate werden im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten auch künftig durchgeführt werden.“
Ich bin mir nicht sicher, ob dem Minister bei seiner Unterschrift bewußt war, welche Konsequenzen diese Aussage hat. Eine Aussage einer Landesregierung gegenüber dem Parlament begründet zwar keinen individuellen Rechtsanspruch auf bedarfsgerechte Angebote, nach meiner Auffassung jedoch einen politischen Anspruch. Dabei ist ein Aspekt maßgeblich: Wenn eine Leistung als zur Daseinsvorsorge gehörig erklärt wird, dann muss sie nach dem Gleichheitsgrundsatz Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz für alle zu gleichen Bedingungen erfolgen, weder einzelne Personengruppen, z.B. Hochaltrige, noch einzelne Regionen, z.B. Eifel und Hochsauerland, dürfen benachteiligt werden.
In meinen Empfehlungen zur Stärkung digitaler Teilhabe älterer Menschen für diese Tagung und die von den Veranstaltern erhobenen Forderungen, lag diese Aussage noch nicht vor. In der Präsentation am 30. Oktober habe ich an Beispielen aktuell geförderter Projekte gezeigt, wo nun von Kommunen, Verbänden und einzelnen älteren Menschen als Gleichbehandlung gefordert werden kann. Dabei wird auch das Adjektiv „bedarfsgerechte Angebote“ konkretisiert und mit Fakten unterlegt, welche Lücken in dieser Hinsicht noch bestehen.
Diese Präsentation finden Sie hier Weitere Infos: Kubicek Digitale Teilhabe Landtag NRW Okt 2023.pdfPDF lesen