Bedarfserhebung der VHS Löhne mit Bremer Fragebogen - nur durch Landesmittel möglich
Bedarfsgerechte Angebote erfordern eine Erhebung des Bedarfs
Es sollte selbstverständlich sein: Wer (älteren Menschen) bedarfsgerechte Angebote zur Digitalen Teilhabe verspricht, sollte den Unterstützungsbedarf, genauer die unterschiedlichen Bedarfe der vielfältigen älteren Bevölkerung zwischen 60 und weit über 90 Jahren kennen. Die regelmässigen Umfragen zur Internetnutzung der Initiative D21, des Statistischen Bundesamtes, des ARD/ZDF Monitors und andere leisten das nicht. Die meisten fassen alle älteren Menschen über 70 Jahre in einer großen Gruppe zusammen und fragen gar nicht nach einem differenzierten Unterstützungsbedarf. Das war der Grund, warum im Rahmen des Bremer Netzwerks Digitalambulanzen im Frühjahr 2021 eine eigene Bevölkerungsumfrage mit entsprechenden Fragen durchgeführt wurde.
Freigabe des Fragebogens bisher ohne Resonanz
Der zur Bedarfsermittlung bestimmte Fragebogen wurden zusammen mit dem Bericht veröffentlicht und ausdrücklich zur uneingeschränkten Verwendung freigegeben. In verschiedenen Publikationen und Präsentationen habe ich darauf verwiesen und ihn hier in einem Beitrag vom 11. Februar im Word-Format zur Verfügung gestellt. Bis vor kurzem jedoch ohne Resonanz. Ich hatte schon Zweifel, ob es an der Qualität des Fragebogens liegen könnte, dass ihn niemand übernehmen will.
Bedarfserhebung in Löhne
Im April dieses Jahres kam eine Anfrage der stellvertretenden Leiterin der VHS Löhne Maria Beine-Diekmeyer, die im Rahmen eines Projektes zur Unterstützung von "digital immigrants" eine Bedarfserhebung durchführen und dazu den Bremer Fragebogen leicht abgewandelt verwenden wollte. Interessant ist die Begründung für diese Erhebung:
"Eine im letzten Jahr durch die Stadt Löhne digital durchgeführte Befragung älterer Menschen zum Thema „Mobilität“ konnte mangels Teilnahme kaum Ergebnisse generieren, was unserer Ansicht nach zeigt, dass unsere älteren Mitbürger und Mitbürgerinnen auf dem Gebiet der Internet- und Mediennutzung noch Nachholbedarf haben. Hier sehen wir uns als kommunaler Weiterbildungsanbieter in der Verantwortung, ein Angebot zur Erhöhung der digitalen Kompetenzen für ältere Menschen in unserer Region zu schaffen. Um dies bedarfsgerecht tun zu können, ist eine vorherige Befragung notwendig."
In der Tat bedeutet fehlende Internetnutzung nicht nur einen Ausschluss von Online-Umfragen und damit eine Verzerrung der Repräsentativität der Ergebnisse, sondern auch von anderen Formen der zunehmend nur online durchgeführten Bürgerbeteiligung und damit der gesellschaftlichen Teilhabe !
Es dauerte jedoch bis Oktober, bis die Umfrage per Post, Telefon und online gestartet werden konnte. Der Grund lag darin, dass erst noch die finanziellen Mittel für die Durchführung gewonnen werden mussten. Mit dem erforderlichen Engagement ist es gelungen, Mittel aus dem Innovationsfonds 2023 des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW einzuwerben. Auch der Erhalt von 1.000 Adressen älterer Einwohnerinnen und Einwohner hat mehrere Anläufe erfordert um die Verwaltung davon zu überzeugen, dass diese Umfrage im öffentlichen Interesse liegt.
Im November wurden die Daten ausgewertet und ein erster Bericht erstellt (unten als pdf abrufbar). Dieser wurde am 30. November in einer gemeinsamen Veranstaltung mit mir in der VHS vorgestellt wurde. Mein Beitrag bestand darin, zunächst die Dringlichkeit der bedarfsgerechten Unterstützung digitaler Teilhabe im Alter aufzuzeigen und nach der Präsentation der Ergebnisse Empfehlungen für den sich daraus ergebenden Handlungsbedarf zu geben.
Ergebnisse und Konsequenzen
Die Befunde der Umfrage in Löhne zur gesamten Internetnutzung und Nicht-Nutzung, der Altersverteilung, des Einflusses von Geschlecht, Berufstätigkeit, Mobilität und anderen Faktoren, den Gründen für die Nicht-Nutzung sowie der Art der Nutzung decken sich erstaunlich stark mit denen aus Bremen und Bremerhaven. Beim Unterstützungsbedarf gibt es kleinere Abweichungen. Der Anteil derer, die keinen Unterstützungsbedarf angeben ist mit 66 % etwas höher und die am häufigsten gewünschte Art der Unterstützung sind mit 9,3 % Kurse.
Die Prozentzahlen für die Wünsche nach verschiedenen Unterstützungsformaten von 5,0 %, 5,7 %, 8,3 % und 9,3 % erscheinen auf den ersten Blick nicht sonderlich hoch und grundsätzlich erfüllbar.
In meiner Präsentation habe ich diese Werte auf die 12.000 älteren Menschen über 60 Jahre in Löhne mit der Methode hochgerechnet, die auch für Bremen angewendet wurde und die zwei Korrekturfaktoren enthält. Zum einen werden nicht alle, die den Wunsch geäußert haben, tatsächlich ein entsprechendes Angebot dann auch nutzen. Zum anderen werden die einzelnen Formate nicht nur ein Mal, sondern mehrmals innerhalb eines Jahres in Anspruch genommen. Für Löhne ergibt sich dann in einem mittleren Szenario eine Nachfrage, die nicht so leicht befriedigt werden kann.
Danach müssten in einem Jahr Kurse für 1.116 Teilnehmende in eher kleinen Gruppen angeboten und dafür die erforderlichen Honorarkräfte gewonnen und vergütet werden. Dasselbe gilt für die Nachfrage nach Sprechstunden. Das bisher einmal monatlich angebotene WLAN-Cafe müsste sehr viel häufiger geöffnet und betreut werden. Das ist von der VHS auch bei einer Erhöhung des Etats nicht leistbar, aber auch nicht die notwendige Konsequenz. Denn aus der Umfrage folgt ja nicht, dass die VHS als Organisator der Bedarfserhebung die auf dieser Grundlage ermittelte Nachfrage alleine befriedigen muss.
Der nächste Schritt ist eine Angebotsermittlung
In meinen Empfehlungen habe ich daher unter anderem als nächsten Schritt eine Angebotserhebung vorgeschlagen, wie sie in Bremen innerhalb des Netzwerks durchgeführt wurde. Alle als Veranstalter in Frage kommenden Stellen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen, die Stadtbibliothek, Vereine und Initiativen in der Altenarbeit sowie weitere kommunale Einrichtungen sollen gefragt werden, welche Angebote sie zur Unterstützung der digitalen Teilhabe älterer Menschen bereits in welchen Formaten für welche Teilgruppen machen, welche sie planen und welche Unterstützung sie für die Erweiterung ihrer Angebote benötigen. Sinnvoll wäre es, wenn dazu die Stadtverwaltung alle in Frage kommenden Organisationen zu einem Workshop einladen würde. In Bremen war das ein Kick-Off für die Bildung des Netzwerks Digitalambulanzen, in dem unter anderem eine Konkretisierung der Angebots-Erhebung stattgefunden hat und der Kreis der anzusprechenden Stellen aufgrund der unterschiedlichen Kenntnisse der Teilnehmenden erheblich erweitert werden konnte.
In einem zweiten Schritt wurden dann in einer Bedarfsumfrage unter den Mitgliedern des Netzwerks Details zu deren Angeboten und der Schulungsbedarf ermittelt.
Finanzielle Unterstützung der Länder für kommunale Bedarfserhebungen erforderlich
Im Gespräch mit Frau Beine-Diekmeyer habe ich gelernt, dass die bisher fehlende Übernahme des Fragebogens nicht an dessen Inhalt und Qualität liegt, sondern ganz entscheidend an den mit einer solchen Erhebung verbundenen Kosten. Das hätte mir als Dipl. Kfm. und ehemaliger Professor für Betriebswirtschaftslehre eigentlich auch schon vorher einfallen sollen. Denn für die Durchführung mussten
- rund 1.500 Exemplare des Fragebogens gedruckt werden,
- Umschläge für den Versand und die Rücksendung beschafft sowie das Porto und Rückporto finanziert werden werden,
- eine Lizenz für ein Online-Tool erworben und der Fragebogen eingepflegt werden,
- der personelle Aufwand für die angebotene telefonische Beantwortung und die Eingabe der überwiegend schriftlich eingegangen Fragebögen in das Auswertungs-Tool vergütet werden.
Für die rund 1.500 Fragebögen in Löhne haben sich diese Aufwendungen zu rund 7.000 Euro addiert. Ein solcher Betrag ist aus dem laufenden Haushalt nicht zu finanzieren. Ohne die beantragten und bewilligten Landesmittel wäre diese Bedarfserhebung nicht möglich gewesen. Das war in Bremen auch nicht anders. Die Umfrage mit 40.000 verschickten Fragebögen wurde aus der Förderung des Netzwerks Digitalambulanzen als Open Government Labor durch das BMI finanziert.
Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis besteht darin, dass die Landesregierungen, die behaupten, dass bei der Digitalisierung alle mitgenommen, niemand zurückgelassen und ausgeschlossen werden soll und dazu bedarfsgerechte Unterstützungsangebote auf kommunaler Ebene gemacht werden sollen, zunächst den Kommunen Mittel für die erforderlichen Bedarfsermittlungen bereitstellen sollten.
Der angepasste Fragebogen kann noch von der Web-Seite der VHS Löhne heruntergeladen werden. Frau Beine-Diekmeyer ist auch gerne bereit, Fragen zur Planung und Durchführung der Umfrage per E-Mail zu beantworten.
Weitere Infos: Präsentation Umfrageergebnisse.pdf
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