Servicestellen der Verwaltung für Offliner - Evidenz für den Bedarf
Forderung aus NRW
Auf der mehrfach erwähnten Tagung im Düsseldorfer Landtag am 30. Oktober haben die Veranstalter elf Forderungen zur Sicherung der Digitalen Teilhabe älterer Menschen vorgestellt. Forderung Nr. 2 lautet:
"Service-Standorte für Offliner einrichten"
„Es wird auch künftig weiterhin Menschen geben, die keinen Online-Zugang haben oder die nicht in der Lage sind, Online-Dienste alleine zu nutzen. Für sie muss es wohnortnahe Service-Standorte geben, an denen sie – sofern dazu in der Lage – ein Endgerät mit Internetzugang eigenständig nutzen können. Zudem müssen im Bedarfsfall Unterstützung und Übungsmöglichkeiten an diesen Standorten angeboten werden. Im Rahmen des Online-Zugangsgesetzes werden immer mehr Leistungen von Städten, Gemeinden, Kreisen und dem Land digital angeboten. … Das Land NRW muss die Service-Standorte unterstützen, damit die digitale Teilhabe für alle Menschen in NRW möglich ist.“
Geringe Umsetzung des OZG – eine gute Nachricht?
Nach dem Online-Zugangs-Gesetz (OZG) vom 18. August 2017 sollten bis Ende 2022 insgesamt 575 Verwaltungsleistungen bundesweit online angeboten werden. Darunter auch eine Reihe von Diensten, die von Seniorinnen und Senioren genutzt werden. In den Medien werden die Regierungen in Bund und Ländern dafür kritisiert, dass die Umsetzung weit hinter der Zielvorgabe zurückliegt. Die Initiative Neue Marktwirtschaft veröffentlicht jedes Quartal in einem Behörden-Digimeter Zahlen zum Umsetzungsstand des OZG auf Länderebene. Im Oktober waren im Durchschnitt erst 145 Leistungen bundesweit online verfügbar. Im Ländervergleich liegen Bayern und Hamburg mit 246 und 229 Leistungen an der Spitze, Rheinland-Pfalz und NRW mit 178 bzw. 175 Leistungen im Mittelfeld. Bremen mit 165 sowie das Saarland und Sachsen-Anhalt mit jeweils 155 Onlinediensten bilden die Schlusslichter.
Was die Befürworter der Digitalisierung kritisieren, ist für viele ältere Menschen hingegen auf den ersten Blick eine gute Nachricht. Denn das bedeutet, dass die persönliche Inanspruchnahme dieser Leistungen fortbesteht. Viele Ältere fühlen sich mit den digitalen Angeboten überfordert und alleine gelassen. Auf den zweiten Blick ist diese Status-Information jedoch weniger ermutigend. Denn sie zeigt auch, dass die Digitalisierung eines großen Teils von Verwaltungsdiensten noch bevorsteht. Und daran muss sich die Unterstützung zur Digitalen Teilhabe ausrichten.
E-Government an der Spitze - der Problemliste
Auf der Tagung hat Linda Göbel von der Katholischen Hochschule in Freiburg ihre im Auftrag der BAGSO durchgeführte Studie zu aktuellen Problemen älterer Menschen ohne Internet oder mit geringen Kenntnissen vorgestellt. Der Schwerpunkt lag auf der Auswertung von 3.520 Situationen, die 2.344 Personen mit eigenen Worten beschrieben haben, auf welche Schwierigkeiten sie aufgrund der Digitalisierung gestoßen sind. Die Studie spricht von Ausgrenzungserfahrungen. Die geschilderten Situationen wurden Bereichen zugeordnet. Die folgende Grafik zeigt, dass die öffentliche Verwaltung mit 22% aller Schilderungen noch vor den Banken mit 15% an der Spitze steht, obwohl die Banken mit ihrer breiten Schließung von Filialen offenkundig älteren Menschen erhebliche Schwierigkeiten bereiten, wie in früheren Beiträgen kommentiert wurde.
In dem schriftlichen Bericht gibt es auch eine Auswertung einer geschlossenen Frage, wie einfach oder schwierig es ist, Dinge des Alltags in verschiedenen Bereichen ohne Internet zu erledigen. Hier steht die allgemeine Suche nach Informationen an der Spitze. 18% finden dies sehr schwierig, 55% schwierig. Die Öffentliche Verwaltung steht als erster differenzierter Bereich mit 16% bzw. 46% an zweiter Stelle, gefolgt vom Bereich Mobilität und Reisen mit 14 bzw. 43 %.
Zu einem ähnlichen Ergebnis ist die in dem Beitrag vom 17.6.2022 kommentierte Umfrage des Verbraucher Service Bayern im KDFB, dem Katholischen Deutschen Frauenbund Landesverband Bayern gelangt. Auch hier wurden für den Bereich der Öffentlichen Verwaltung die meisten Schwierigkeiten berichtet.
Altersbedingte Unterschiede im aktuellen eGovernment-Monitor
Einen weiteren Beleg liefert der jüngste eGovernment-Monitior der Initiative D21. Im Vorfeld der Tagung hatte die Mit-Autorin Sandy Jahn ausgewählte Daten aus dem Bericht zu Einstellungen und Kompetenzen nach Altersgruppen in aufgeschlüsselt. Wie im Digital-Index werden dabei Altersgruppen nach Generationen gebildet. Ein Auszug zeigt deutliche Unterschiede:
- Während 71% der Generation Z (1996 – 2009) von sich sagen, dass sie in der Lage sind, das Online-Angebot von Behörden und Ämtern zu nutzen, stimmen dem nur 43% der Generation bis 1945 zu.
- Ähnlich ist es bei der Aussage, man fühle sich sicher, alleine Online-Formulare auszufüllen. Hier liegt der Unterschied zwischen 58 und 46%.
- Und wenn es die Möglichkeit gibt, etwas online zu erledigen, tun dies 76% der Generation Z, aber nur 51% der Generation bis1945. /ul
Diese repräsentative Erhebung belegt, dass die Online-Angebote der Verwaltung den Tatbestand erfüllen, dem mit der gesetzlichen Altenhilfe (§ 71 SGBXII) begegnet werden soll: Die Altenhilfe soll dazu beitragen, "Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern und alten Menschen die Möglichkeit zu erhalten, selbstbestimmt am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen und ihre Fähigkeit zur Selbsthilfe zu stärken".
Service-Stellen statt Recht auf analoges Leben
In der Pressemeldung zur Studie fordert die BAGSO: „Dringend gewünscht und benötigt werden weiterhin klassische Zugangswege: telefonisch, postalische und persönliche Erreichbarkeit und gedruckte Materialien und Formulare. . Der Katholische Frauenbund in Bayern forderte sogar „Eine gesetzliche Regelung, welche den Staat und die Anbieter in zentralen Bereichen des täglichen Lebens zu dem Angebot eines adäquaten analogen Zuganges verpflichtet.“ Doch das wird mit Sicherheit nicht geschehen. Bei der Formulierung der gemeinsamen Erklärung der Partner im DigitalPakt Alter wurde zunächst eine ähnliche Forderung vorgeschlagen. Nach Abwägung der Realisierungschancen wurde dann vereinbart:
„Analoge Dienstleistungen müssen so lange angeboten werden, bis es eine vollwertige Unterstützung für diejenigen gibt, die digitale Angebote nicht selbständig nutzen können“.
Der IT-Planungsrat beschäftigt sich schon länger mit einem auch von mir geforderten telefonischen Support für die Nutzerinnen und Nutzer der Online-Angebote der Verwaltungen über die gemeinsame Behördennummer 115. Damit kann jedoch nur denen geholfen werden, die online sind und telefonischen Hinweisen und Anleitungen folgen können. In der obigen Forderung geht es jedoch auch um die insbesondere Hochaltrigen, die nicht online sind oder nicht folgen können. Dafür sind die genannten Service-Stellen geeignet und erforderlich. Allerdings sind dazu noch einige rechtliche und technische Fragen, zu klären. Daher habe ich in meinen Empfehlungen die Förderung von Pilotprojekten vorgeschlagen. Die beiden Vorschläge sind nicht auf NRW begrenzt , sondern können von jedem Bundesland oder auch dem BMI aufgegriffen werden:
Empfehlung 8
Für diejenigen, die keinen Onlinezugang haben oder Onlinedienste alleine nicht nutzen können, sollten in den örtlichen Bürgerbüros bzw. Service-Zentren der Verwaltung Geräte zur eigenen Nutzung und Personen zur Unterstützung im Bedarfsfall bereitgestellt werden. Dies ist zwar letztlich eine Aufgabe der Kommunen. Die Landesregierung sollte jedoch in Ergänzung des Förderprogramm Modellregionen NRW mit Projekten zur Stadtentwicklung und E-Government die Erprobung solcher Servicestellen (nicht nur) für ältere Menschen fördern. Bisher wird dort nur die Qualifizierung der Beschäftigten, nicht aber die der Bürgerinnen und Bürger als Nutzerinnen und Nutzer gefördert. Sinnvoll erscheinen zunächst 10 Pilotprojekte, in denen u.a. Fragen der Haftung, Dokumentation und Qualifizierung geklärt werden, wenn Beschäftigte der Verwaltung inhaltlich beim Ausfüllen von Online-Formularen helfen.
Empfehlung 9
Für Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder Orientierungsproblemen (leichte Demenz) sowie Menschen in Pflegeheimen sollte eine aufsuchende Unterstützung bei der Verlängerung von Ausweispapieren, Ummeldungen, Anträgen auf Sozialhilfe, Wohngeld u. ä. von den Kommunen angeboten werden. Auch hier erscheint zunächst eine Förderung von Pilotprojekten durch die Landesregierung im Rahmen des Programms Modellregionen hilfreich, bei denen u.a. technische Sicherheitsfragen bei der Nutzung mobiler Geräte durch die Beschäftigten der Verwaltung geklärt werden können.
Guter Wille alleine reicht nicht
Erst Pilotprojekte durchzuführen kann als Zögerlichkeit und als Ausrede verstanden werden Doch das ist nicht der Fall. 2015 hatte sich das Stadtamt im Rahmen des Bremer Projekts "Herbsthelfer - Bremer Verbund für Seniorendienstleistungen" bereit erklärt, älteren Bürgerinnen und Bürgern, die in ein Wohn- oder Pflegeheim ziehen, den Weg zur Meldestelle zu ersparen und stattdessen einmal im Monat eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter der Verwaltung mit einem mobilen Gerät in die Heime zu schicken, um die Ummeldung dort vorzunehmen. Der Bericht zeigt, auf welche Schwierigkeiten die Realisierung aufsuchender Verwaltungsleistungen auch bei bestem Willen der Behördenleitung stoßen kann.
Als Ergänzung zur Problem-Statistik ist eine einstündige Sendung des Deutschlandfunk vom 23.11.2023 interessant: Ohne Internet- Analog leben in einer digitalen Welt. Zum Nachhören: