Ampel hat digitalpolitische Ziele nicht erreicht - Hohe Erwartungen an die neue Bundesregierung

Eine wenig beachtete Negativ-Bilanz
Die abgelöste Ampel-Regierung hat vieles nicht geschafft, was sie sich als Innovations-Koalition vorgenommen hatte. Das gilt auch für die Digitalstrategie. Dass Deutschland bei der Digitalisierung in fast allen Bereichen im internationalen Vergleich zurück liegt, ist öffentlich breit diskutiert worden. Dass dies auch für die gesellschaftspolitischen Ziele einer Vermeidung sozialer Ungleichheit und digitaler Teilhabe für alle gilt, wurde bei den Bilanzierungen in den Medien deutlich weniger thematisiert als der Glasfaserausbau. Ich bin erst jetzt auf eine Meldung der Initiative D21 vom 19. Februar 2025 gestoßen, die in dieser Hinsicht zu einem vernichtenden Urteil kommt.
Die Iniiative D 21 ist ein eingetragener Verein und nach eigener Darstellung "Deutschlands größtes gemeinnütziges Netzwerk für die Digitale Gesellschaft, bestehend aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft" mit 140 Mitgliedsunternehmen und -organisationen. In einem Wikipedia-Artikel finden sich Details zur Entstehung, zu den Aufgabenfeldern, Personal und Finanzierung. Der Verein erhält staatliche Zuschüsse und führt im Auftrag des Bundeswirtschaftsministerium jährlich eine repräsentative Umfrage zum Stand der Digitalen Gesellschaft durch, die einmal als (N)onliner-Atlas begann und nun schon länger in einen Digital-Index mündet. Auf diesen Daten aufbauend wurde ein digitalpolitisches Monitoring durchgeführt, in dem die Erreichung von Zielen überprüft wurde, die 2022 definiert worden waren.
Die Digitalstrategie der Ampel-Koalition
Die im August 2022 formulierte Digitalstrategie (pdf) der Ampel-Koalition mit der Überschrift "Gemeinsam digitale Werte schöpfen" besteht aus einer Reihe von eher allgemeinen Ankündigungen und 19 konkreten Leuchtturmprojekten in den drei Handlungsfeldern
- Vernetzte und digital souveräne Gesellschaft
- Innovative Wirtschaft, Arbeitswelt, Wissenschaft und Forschung
- Lernender, digitaler Staat.
In dem zuerst genannten Bereich werden so unterschiedliche Themen wie Digitale Infrastruktur, Bildung in allen Lebensphasen, Schutz und Kompetenz im digitalen Raum, Mobilität, Smart Cities, Teilhabe, Gleichstellung und digitale Barrierefreiheit genannt. Dazu werden Absichtserklärungen formuliert und angestrebte Meilensteine benannt.
Zum Thema "Bildung in allen Lebensphasen" heißt es:
"Die digitaltechnologische Durchdringung verändert das gesamte Leben und erfordert veränderte Kompetenz- und Qualifizierungsprofile. Digitalkompetenzen fördern die Selbstbestimmung, die gesellschaftliche Teilhabe und den Zusammenhalt, aber auch die individuelle Beschäftigungsfähigkeit und den Wohlstand. Um die Innovationskraft unseres Landes ebenso wie die Souveränität der Bevölkerung aller Altersgruppen im Hinblick auf Digitalität zu sichern, sind mehr und gezieltere Investitionen in Aus-, Fort- und Weiterbildung und ein besonderer Fokus auf informelle Lern- und Bildungsangebote notwendig." .......
Konkret für ältere Menschen:
- In einer Gesellschaft des langen Lebens kommt Bildung im Alter eine besondere Bedeutung zu. Daher wollen wir auch den souveränen Umgang mit dem Digitalen im Alter stärken. ....
- Wir setzen das regelmäßige Monitoring der digitalen Kompetenzen in der Bevölkerung fort, verknüpfen Forschung und Praxisentwicklung und entwickeln gezielt Maßnahmen für die Gruppen, die ein erhöhtes Risiko haben, digital abgehängt zu werden......
Wir wollen uns daran messen lassen, ob
- ein regelmäßiges Monitoring Verbesserungen bei den digitalen Kompetenzen der Bevölkerung ergibt, insbesondere bei den digitalisierungsfernen Gruppen.
- die Ergebnisse des Monitorings als Ausgangspunkt für die Entwicklung von gezielten Kompetenzvermittlungsangeboten bei den digitalisierungsfernen Gruppen gedient haben.
- alle aktuellen und relevanten Studien und Modelle zur Medien- und Digitalkompetenz der deutschen Bevölkerung in einer Datenbank zusammengefasst sind und Forschungslücken durch zusätzliche empirische Studien geschlossen wurden."
Ein Leuchtturnprojekt zu diesem Themenbereich gab es nicht.
Das D21-Monitoring
Mit der Fortsetzung des Monitoring sind die mitfinanzierten jährlichen Erhebungen zum Digital-Index gemeint. Im Februar 2023 wurden fünf gesellschaftlich relevante Digitalisierungsziele definiert und dazu eine erste Bestandsaufnahme erhoben:
- Alle profitieren von der Digitalisierung
- Digitalkompetenzen werden verbessert
- Beschäftigungschancen werden genutzt
- Desinformation wird mit Nachrichtenkompetenz bekämpft
- Lebenslanges Lernen stärkt Teilhabe und Resilienz.
Ein Jahr später wurde mit dem Digital-Index 2023/24 eine Zwischenbilanz vorgelegt, die Stagnation und sogar Rückschritte bei wichtigen Indikatoren gezeigt hat. Änderungen oder zusätzliche Maßnahmen speziell für "digitalisierungsferne Gruppen" wurden nicht ergriffen. Auf entsprechende Vorschläge der Kommission für den Achten Altersberichtoder in meiner Evaluation der 150 Erfahrungsorte im DigitalPakt Alter gab es keine erkennbare Reaktion. Nun liefert der Digital-Index 2024/25 die Daten für die Abschlussbilanz für die vorzeitig beendete Legislaturperiode.
Ausgewählte Befunde mit Bezug zu digitaler Teilhabe vor allem im Alter
Gesellschaftliche Spaltung bleibt:"Der Anteil der Bevölkerung, die sich persönlich durch Digitalisierung profitieren sehen, stagniert bei etwas mehr als der Hälfte. Die digitalen Spaltungen in der Gesellschaft bleiben weiterhin erheblich."
Keine Verbesserung bei Digitalkompetenzen:"Die digitale Kompetenz der Bevölkerung sollte sich bis 2025 messbar verbessert haben – eine entscheidende Voraussetzung für einen selbstbestimmten Umgang mit der digitalen Welt. Sowohl die digitalen Kompetenzen insgesamt als auch die Basiskompetenzen stagnieren jedoch auf dem Niveau von 2022. Ein langfristiger Fortschritt bleibt aus."
Rückgang der Nachrichtenkompetenz:"Angesichts der anhaltenden Angriffe auf unsere Demokratie – sowohl von innen als auch von außen – ist es entscheidend, dass Bürger*innen Qualitätsmedien erkennen und Desinformationen im Internet entlarven können. Umso besorgniserregender ist es, dass die Fähigkeit, seriöse von unseriösen Nachrichten zu unterscheiden, sogar leicht abnimmt. Zudem traut sich nur die Hälfte der Bevölkerung zu, die Richtigkeit von Online-Nachrichten und Quellen zu überprüfen - ein Wert, der weiterhin stagniert."
Als Konsequenz hat die Initiative D21 digitalpolitische Forderungen an die neue Bundesregierung formuliert, auf die in einem nächsten Beitrag eingegangen wird. Hier ist noch festzuhalten, dass diese Kritik auch von weiteren kompetenten Stellen geteilt wird, wie zum Beispiel von dem vom zuständigen Ministerium berufenen Beirat und dem Bundesrechnungshof.
Das Monitoring des Beirat Digitalstrategie
Das zuständige Bundesministerium für Digitales und Verkehr hatte einen Beirat berufen, der insbesondere die Leuchtturmprojekte begleiten und evaluieren sollte, aber auch die gesamte Strategie. In seinem Abschlussbericht (pdf) stellt das Gremium allerdings fest, dass es gar keine echte Strategie gegeben habe:
"Mit der aktuellen Digitalstrategie wollte die Bundesregierung den dringend benötigten digitalen Aufbruch in Deutschland einleiten. Es wurden neue Ansätze für mehr Wirkungsorientierung
und ein verbessertes Monitoring eingebracht – Ansätze, die wir ausdrücklich begrüßen. Dennoch
bleibt die Strategie in ihrem Kern weit hinter den Anforderungen zurück. Sie ist keine echte Strategie, sondern eine Ansammlung von über 140 Einzelmaßnahmen, die nicht aus strategischen Leitzielen abgeleitet, sondern von den Ressorts einzeln angemeldet wurden.
Als Beirat waren wir beauftragt, die 19 Leuchtturmprojekte der Strategie zu begleiten. Allerdings fehlt der Strategie eine klare Definition dessen, was ein Leuchtturmprojekt ausmacht, sowie nachvollziehbare Kriterien für deren Auswahl. Einzelne positive Maßnahmen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesregierung weiterhin ohne ein übergreifendes Ziel und ohne einen verbindlichen Plan digitalpolitische Maßnahmen vorantreibt."
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch der Bundesrechnungshof (pdf)
Empfehlungen für die neue Bundesregierung
Der Beirat sieht die Ursachen für diesen Misserfolg vor allem darin, dass es keine Führung mit einem gemeinsamen ressortübergreifenden Ziel und abgestimmten Unterzielen und ressortübergreifenden Maßnahmen gegeben hat. Das ist angesichts der Unterschiede zwischen den Koalitionspartnern auch nicht zu erwarten. Der neuen Bundesregierung werden in dem Bericht vor allem organisatorische und methodische Empfehlungen gegeben, ohne auf inhaltliche Ziele einzugehen. Man darf Zweifel anmelden, ob es überhaupt gelingen kann, eine konsistente Zielhierarchie für eine gesamtgesellschaftliche Digitalisierungsstrategie zu finden, da ja alle gesellschaftlichen Bereiche betroffen sind und daher eine konsistente gesamtgesellschaftliche Zielhierarchie. entwickelt werden müsste. Von Koalitionsregierungen kann man das erfahrungsgemäß nicht erwarten. Alle mir bekannten Koalitionsverträge sind Ansammlungen von Einzelzielen, auch der aktuelle. Eine kleine Chance besteht darin, dass die für einige Maßnahmen zuständigen Referate, die bisher in verschiedenen Ressorts angesiedelt waren, nun in einem Ministerium organisatorisch zusammengefasst werden. Aber auch das bedeutet noch nicht automatisch gemeinsame Ziele, inhaltliche Koordination und Kooperation. Wir werden sehen, welche Referate aus welchen Ministerien überhaupt in das neue Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung wechseln und vor allem auf ein neues Strategiepapier warten, das nach den Empfehlungen des Beirats partizipativ unter Einbeziehung aller Stakeholder erarbeitet werden soll. In der ersten Darstellung der Aufgabe des neuen Ministeriums bei Wikipedia werden neben Strategischen Fragen und Grundsatzentscheidungen Digitale Verwaltung, IT-Beschaffung des Bundes, Cyberpolitik, Infrastruktur (Breitbandausbau), Digitale Wirtschaft, Geschäftsstelle Bürokratieabbau und ähnliches genannt. Digitale Bildung und Kompetenzen sowie Digitale Teilhabe werden nicht erwähnt. Bemerkenswert ist auch, dass es neben dem von der CDU benannten Minister drei Staatssekretäre von der CDU gibt. Hatte die SPD kein Interesse an diesem Politikbereich?