Digitale Teilhabe 65 plus

Beobachtungen, Gedanken, Fragen und Tipps
zur Überwindung der Alterslücke bei der Nutzung von digitalen Medien

Portrait: Herbert Kubicek
Prof. Dr. Herbert Kubicek
Jahrgang 1946
Über mich
17.05.2025

Mehr Fordern statt Beklagen – Seniorenvertretungen sollten sich aktiver für digitale Teilhabe im Alter einsetzen

22. Niedersächsische Landesseniorenkonferenz

Am vergangenen Mittwoch, dem 14. Mai 2025, habe ich auf der 22. Niedersächsischen Landesseniorenkonferenz" in Hannover einen Vortag gehalten mit dem Titel: „Die Digitalisierung des Alltags und ihre Bedeutung für die ältere Generation. Chancen für Seniorinnen und Senioren und Herausforderungen für die gesetzliche Altenhilfe.“ Die Folien können am Ende des Beitrags als pdf heruntergeladen werden. Ich möchte hier nicht das Referat zusammenfassen, sondern einige Eindrücke schildern und ergänzendes Material bereitstellen.

Digitalisierung wird überwiegend als Bedrohung gesehen

Vor mir sprach Dr. Andreas Philippi, Niedersächsischer Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung. Nach einem kurzen Referat hat er sich rund 40 Minuten den Fragen der ca. 120 örtlichen Seniorenvertreterinnen und -vertretern gestellt. Dabei ist mir aufgefallen, dass in fast allen Wortmeldungen die Digitalisierung als Bedrohung des gewohnten Lebens gesehen wurde, nach den Berichten der zu ihnen kommenden Seniorinnen und Senioren, aber teilweise auch in der eigenen Wahrnehmung. Häufiger wurde eher hilflos gefragt, was man dagegen tun könne. Aus mehreren Kommunen wurde von Übungsgruppen oder Sprechstunden zu Smartphones berichtet, bei einigen war der Zuspruch groß, bei anderen war kaum jemand gekommen und es wurde gefragt, wie man ältere Menschen überhaupt motivieren könne. In meinem Referat habe ich von den drei Personas im Digital-Index gesprochen, den „Genügsamen Verdränger:innen", den „Zufriedenen Aussitzer:innen" und der „Ablehnenden Mitte", die alle Unterstützung bei der Entwicklung ihrer digitalen Kompetenzen benötigen und ich habe den Eindruck, dass die meisten Anwesenden zu diesen drei Gruppen zu zählen sind, und nicht zur „Aufgeschlossenen Mitte" oder den „Zuversichtlichen Profis".

Wenig Wissen über Unterstützungsangebote

Eine zweite Beobachtung ist, dass kaum jemand wusste, welche Unterstützung es in Niedersachsen insgesamt oder in Nachbarkommunen für die Förderung digitaler Kompetenzen gibt. In der Übersicht "Wer unterstützt wo?" des Digital Kompass werden nur für Niedersachsen und Brandenburg keine Fördermaßnahmen für „Digital im Alter“ gelistet. Niedersachsen hat Im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern kein Förderprogramm für lokale Erfahrungsorte und hat auch keine Angebote für die Qualifizierung der dort tätigen Ehrenamtlichen.

Minister Philippi hatte als Beitrag seiner Landesregierung erwähnt, dass sie dem DigitalPakt Alter beigetreten ist. Auf einer Partner-Seite wird erklärt, dass die Landesregierung unter dem Logo Niedersachsen Digital 2030 einen Digitalisierungsfahrplan erstellen will und der DigitalPakt dabei eine wichtige Plattform für Austausch und Vernetzung sei. In einer kurzen Videoansprache lobt der Minister den DigitalPakt als wichtigen Baustein, um die digitale Kompetenz von Seniorinnen und Senioren zu stärken. Er kündigt aber nicht an, was Niedersachsen dazu beiträgt und beitragen will. Vielleicht war nicht klar, dass Partner mit dem Beitritt ausser dieser Web-Seite nicht viel aus dem Pakt erhalten, sondern dass jeder Partner sich verpflichtet, etwas für das gemeinsame Ziel in seinem jeweiligen Handlungsfeld oder übergreifend zu tun, wie es in der Gemeinsamen Erklärung der Partner steht.

Auf der erwähnten Partner-Seite werden als digitale Angebote des Landes Niedersachsen der Seniorenserver "Seniorinnen und Senioren Niedersachsen", der FreiwilligenServer Niedersachsen, das Projekt Digitale Dörfer Niedersachsen, das UnweltNAVI und der Leitfaden für Vereine und Ehrenamt genannt und kurz beschrieben. Auf dieser Karte werden Angebote für digitale Kompetenzen in Niedersachsen angezeigt. Es ist nicht klar, dass dies keine Angebote sind, die das Land gefördert hat.

Quelle:https://www.digitalpakt-alter.de/partner/niedersachsen/

Erfahrungsorte des DigitalPakt Alter

Die Geschäftsstelle hat mit Mitteln des Bundesfamilienministeriums seit der Gründung im August 2021 in mehreren Wellen bis heute 300 sogenannte Erfahrungsorte jeweils für drei Monate mit 3.000 Euro gefördert. Danach müssen sie selbst sehen, wie es weitergeht. Aus Niedersachsen wurden in dieser Zeit 26 Einrichtungen als Erfahrungsort gefördert. Sie sind ohne einen Link, nur mit Adresse und Kontaktperson hier aufgelistet. Dabei ist nicht bekannt, ob die 2021 und 2022 geförderten Einrichtungen ihre damaligen Angebote fortgesetzt haben und heute noch aktiv sind. In meiner Evaluation der ersten 150 Erfahrungsorte haben auf die Frage, ob die Angebote nach Ende der Förderung fortgesetzt werden, für 1:1-Beratung und Sprechstunden dies 70 Prozent gesagt und bei zehn Prozent war die Entscheidung noch offen. Kurse wollten 57 Prozent der Einrichtungen fortführen und Übungsgruppen 52 Prozent (S.104).

Die Gesamtzahl der angezeigten Erfahrungsorte ist überschaubar

Der DigitalPakt Alter fordert auf, Erfahrungsorte zu melden und zeigt die Meldungen auf einer Deutschlandkarte. Auf der hier gezeigten Karte sind neben den vom DigitalPakt selbst geförderten Erfahrungsorten noch ca. 30 anders finanzierte ausgewiesen. Diese Angaben sind mit Sicherheit nicht vollständig, weil es noch viele Angebote gibt, die nicht gemeldet wurden. Die räumliche Verteilung und die großen Flächen ohne Angebote dürften jedoch der Realität entsprechen. Ich finde es wäre eine Aufgabe der Seniorenvertretungen, dies gegenüber dem Ministerium zu beklagen und Änderungen zu fordern. Wenn die Förderung digitaler Kompetenzen mittlerweile zur Daseinsvorsorge gehört, müssen die Angebote regional gleich verteilt sein. Darauf hatte ich im Zusammenhang mit der Kleinen Anfrage der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag hingewiesen.

Umstrittene Verpflichtungen aus der gesetzlichen Altenhilfe und ein direkter Weg

Ich hatte in dem Vortrag wie schon oft auf die m.E. bestehende Verpflichtung zur Förderung digitaler Kompetenzen (und Assistenz) aus § 71 SGB XII hingewiesen. In der anschließenden Diskussion hat die Vorsitzende des Landesseniorenrats Niedersachsen, Gabriela Cramm, darauf geantwortet, dass die Kommunen diese Verpflichtung nur als Soll und nicht als Muss sehen und konkrete Forderungen wegen fehlender Mittel ablehnen. Der Bund und die meisten Länder lehnen ihrerseits eine gesetzliche Muss-Bestimmung (Daseinsvorsorge) wegen des Konnexitätsprinzips ab, weil sie dann die Kosten weitgehend übernehmen müssten. Das Berliner Altenhifestrukturgesetz sei eine absolute Ausnahme und als Stadtstadt sei Berlin mit dem großen Flächenland Niedersachsen nicht zu vergleichen.

Wir konnten diese Diskussion aus Zeitgründen nicht fortsetzen. Daher möchte ich hier ergänzen. Auch Sollbestimmungen berechtigen nicht zur Unterlassung, sondern verpflichten zu Bemühungen und Begründungen, wenn etwas angeblich nicht möglich ist. Bei knappen Mitteln ist es eine Frage der Prioritätenbildung für welche Sollbestimmungen vorhandene Mittel eingesetzt werden, und das wiederum ist eine Frage des öffentlichen Drucks auf die jeweiligen Gremien und die dort vertretenen Parteien sowie der Stärke der jeweiligen Lobby. Eltern machen großen Druck für eine umfassende Förderung digitaler Kompetenzen ihrer Kinder in der Schule. Wer tut das für ältere Menschen? Wäre dies eine Aufgabe für die Seniorenvertretungen?

Es gibt keine einheitlichen bundesgesetzlichen Bestimmungen für die genauen Aufgaben der Seniorenvertretungen. Sie haben eine landesgesetzliche und kommunale Verankerung. In Niedersachsen können die Gemeinden eigenständig entscheiden, ob sie Senioren(bei)räte einrichten und welche Rechte sie diesen einräumen. Eine Google-Suche hat folgende mit KI aus vielen örtlichen Satzungen erzeugte Antwort auf die Frage nach den Aufgaben ergeben:

"Die Hauptaufgabe der Seniorenvertretung ist die Interessenvertretung der älteren Generation. Sie vertritt die Belange von Senioren gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit, sorgt dafür, dass die Bedürfnisse der älteren Generation bei Planungen berücksichtigt werden, und bietet Anlaufstelle für die Senioren selbst."

Daraus könnte man ableiten, dass Seniorenvertretungen ein Recht, wenn nicht sogar den Auftrag haben, gegenüber Politik und Verwaltung Maßnahmen zur Förderung digitaler Kompetenzen und Assistenz bei Planungen, z.B. der Altenhilfe, der Quartiersentwicklung, auch in der Pflegeplanung und anderen zu fordern. Und sie könnten wie andere den öffentlichen Druck aufbauen, der dieses Anliegen weiter oben auf der Prioritätenliste beim nächsten Haushalt rückt.

Eine offizielle Anfrage als Einstieg

Ein erster Schritt könnte darin bestehen, ggfs. mit Berufung auf ein bestehendes Auskunftsrecht, von der Verwaltung Auskunft über die bestehenden Angebote zur Förderung digitaler Teilhabe im Alter und geplante Maßnahmen zu fordern und die Antwort zum Gegenstand einer öffentliche Ratssitzung zu machen. Für die Landesseniorenvertretung NRW hatte ich damals einen Musterbrief entworfen, der leider nicht an die örtlichen Vertretungen weitergeleitet wurde. Diesen habe ich nun für die niedersächsischen Seniorenräte angepasst und als Word-Dokument zum Download bereitgestellt, damit dieser Text den örtlichen Gegebenheiten angepasst werden kann.(Stören Sie sich nicht an der Fehlermeldung und klicken Sie ruhig auf den Link. Anscheinend mag der Server keine DOCX Dokumente zum Download). Den damaligen Beitrag hatte ich mit meinem Erfahrungssatz überschrieben „Ohne Druck kein Ruck“. Das gilt immer noch.

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