Digitale Teilhabe 65 plus

Beobachtungen, Gedanken, Fragen und Tipps
zur Überwindung der Alterslücke bei der Nutzung von digitalen Medien

Portrait: Herbert Kubicek
Prof. Dr. Herbert Kubicek
Jahrgang 1946
Über mich
16.10.2023

Was die Landesregierung von NRW noch besser machen kann - 14 Empfehlungen zur Stärkung der Digitalen Teilhabe älterer Menschen

Screenshot von der Internetseite zu der Veranstaltung am 30. Oktober 2023 im Düsseldorfer Landtag mit dem Link zum Download der Expertise

Der Anlass

Der Verein Wir Verbraucher in NRW - Förderverein der Verbraucherzentrale NRW - plant gemeinsam mit der Landesseniorenvertretung NRW und in Kooperation mit der Verbraucherzentrale NRW am 30. Oktober 2023 eine öffentliche Konferenz im Landtag in Düsseldorf zu dem Thema „Digitale Teilhabe älterer Menschen sichern!“ Dort sollen sich die Seniorinnen und Senioren in Nordrhein–Westfalen zu Wort melden und aufzeigen, welche Probleme sie haben, wenn sie nicht im Internet präsent sind. Vor allem aber soll deutlich gemacht werden, was getan werden muss, um ihre Teilhabe am täglichen Leben zu sichern.

Um Anregungen für konkrete Forderungen zu erhalten, hat mich der Verein um eine Expertise gebeten. Bezugspunkt ist die veröffentlichte Strategie der Landesregierung für das digitale Nordrhein-Westfalen 2.0 vom November 2021 mit dem Untertitel: „Teilhabe ermöglichen - Chancen eröffnen". Dort kündigt die Landesregierung an: "Unser Ansatz ist dabei, den Bildungsbedarf aus der Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer zu ermitteln und mit vielfältigen wie bedarfsgerechten Bildungsangeboten darauf zu reagieren. Wir wollen dabei Schwerpunktthemen, Zielgruppen und Formate zusammenbringen und aufeinander abstimmen.“ (S. 27)

"Entscheidend ist, dass alle relevanten Faktoren für erfolgreiche Medienkompetenzförderung in den Blick genommen werden und mit entsprechenden Formaten reagiert wird. … Vor allem „ältere“ Menschen und Lernungewohnte bedürfen daher besonderer Aufmerksamkeit. In einer älter werdenden Gesellschaft ist jedoch dringend eine differenziertere Betrachtung des soziodemographischen Aspektes „Alter“ geboten, da sich Bedürfnisse von Berufstätigen, aktiven Ruheständlern und Hochbetagten stark unterscheiden.“ (S. 31).

Besser kann ich nicht formulieren, was ich schon lange als responsive Digitalisierungspolitik fordere. Aber leider werden in dem Strategiedokument anschließend keine entsprechenden Maßnahmen beschrieben.

Die Expertise soll mit fünf Feststellungen zur differenzierten Betrachtung beitragen und mit insgesamt 14 Empfehlungen Anregungen für entsprechende Maßnahmen geben. Sie ist bereits auf der Internetseite zur Veranstaltung veröffentlicht. Hier sollen nur die 15 Empfehlungen wiedergegeben werden; die Feststellungen, auf denen sie aufbauen und die Begründungen und Erläuterungen können dort nachgelesen werden.

Die Empfehlungen

(1) Um differenzierte und bedarfsgerechte Angebote planen und fördern zu können, sollte als erstes eine repräsentative Ermittlung der unterschiedlichen Bedarfe und Möglichkeiten zur digitalen Teilhabe älterer Menschen von 60 bis weit über 90 Jahre in NRW durchgeführt werden. Die Bremer Umfrage kann dabei als Vorlage dienen. Der Fragebogen und die Ergebnisse sind Open Data.

(2) Eine unverzichtbare Voraussetzung für die Förderung von digitalen Kompetenzen und Unterstützungsangeboten ist, dass die Zielgruppe leicht erfahren kann, wo es entsprechende Angebote gibt. Die Landesregierung sollte im Sinne eines Monitoring eine möglichst vollständige Liste und Karte der unterschiedlichen Lern- und Erfahrungsorte für ältere Menschen, aber auch andere Gruppen wie Menschen mit Behinderungen, erstellen lassen, die online und per Telefon von Interessierten nach Postleitzahlen abgefragt werden kann, und diese Daten regelmäßig aktualisieren und fortschreiben.

(3) Die Landesregierung sollte ein Förderprogramm für Digitale Lern- und Erfahrungsorte auflegen und dabei insbesondere Starthilfen für Angebote in unterversorgten Kommunen und Kreisen berücksichtigen. In Hessen beträgt die Förderung 1.500 Euro für ein Jahr. Angemessener für eine nachhaltige Entwicklung wäre eine Förderung von 3.000 Euro über drei Jahre, damit die Einrichtungen planen können und die Qualifizierung zum Tragen kommt.

(4) Die Landesregierung sollte eine Einrichtung dauerhaft mit einer quantitativ dem Bedarf entsprechenden Multiplikatorenschulung auf der Basis eines partizipativ entwickelten Curriculums beauftragen und finanziell absichern. Denn angesichts ständig neuer technischer Möglichkeiten und Angebote wird dies eine Daueraufgabe sein. In Thüringen und Rheinland-Pfalz erfolgt diese Schulung über die Landesmedienanstalten.

(5) Die Landesregierung sollte die Verbraucherzentrale NRW dabei unterstützen, regelmäßige Empfehlungen für Smartphones und Tablets zu erstellen, die den unterschiedlichen Fähigkeiten und Einschränkungen älterer Menschen in Bezug auf Sehen, Hören, Beweglichkeit der Hände u.a.m. Rechnung tragen (Barrierefreiheit). Dies Übersicht sollte in einem Newsletter aktualisiert allen Erfahrungsorten unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Diese können dann als Grundlage für individuelle Beratung verwendet werden.

(6) Die Landesregierung sollte versuchen, die Hersteller von Geräten und Telekommunikationsdiensten für eine zentrale Hotline zu gewinnen, bei der unter einer gemeinsamen Rufnummer Hilfe bei technischen Bedienungsproblemen mit Smartphones, Tablets und WLAN geleistet werden kann, ggfs. auch durch Weiterleitung an einen Second-Level-Support mit spezifischeren Produktkenntnissen.

(7) Für Online-Verwaltungsdienste hat die Landesregierung eine unmittelbare Verpflichtung, zu jedem angebotenen Onlinedienst einen telefonischen Support unter einer einheitlichen Rufnummer wie 115 bereitzustellen, der auch bei inhaltlichen Fragen hilft. Ohne einen solchen Support wird die angestrebte Nutzung der Online-Dienste nach dem Online-Zugangsgesetz, des Bürgerkontos und der elektronischen Patientenakte nicht erreicht werden können.

(8) Für diejenigen, die keinen Onlinezugang haben oder Onlinedienste alleine nicht nutzen können, sollten in den kommunalen Bürgerbüros bzw. Service-Zentren der Verwaltung Geräte zur eigenen Nutzung und Personen zur Unterstützung im Bedarfsfall bereitgestellt werden. Dies ist zwar letztlich eine Aufgabe der Kommunen. Die Landesregierung sollte jedoch in Ergänzung des Förderprogramm Modellregionen NRW mit Projekten zur Stadtentwicklung und E-Government die Erprobung von Servicestellen (nicht nur) für ältere Menschen fördern. Bisher wird dort nur die Qualifizierung der Beschäftigten, nicht aber die der Bürgerinnen und Bürger als Nutzerinnen und Nutzer gefördert. Sinnvoll erscheinen zunächst 10 Pilotprojekte, in denen u.a. Fragen der Haftung, Dokumentation und Qualifizierung geklärt werden, wenn Beschäftigte der Verwaltung inhaltlich beim Ausfüllen von Online-Formularen helfen.

(9) Für Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder Orientierungsproblemen (leichte Demenz) sowie Menschen in Pflegeheimen sollte eine aufsuchende Unterstützung bei der Verlängerung von Ausweispapieren, Ummeldungen, Anträgen auf Sozialhilfe, Wohngeld u. ä. von den Kommunen angeboten werden. Auch hier erscheint zunächst eine Förderung von Pilotprojekten durch die Landesregierung im Rahmen des Programms Modellregionen hilfreich, bei denen u.a. technische Sicherheitsfragen bei der Nutzung mobiler Geräte durch die Beschäftigten der Verwaltung geklärt werden können.

(10) Die Landesregierung sollte mit den Kommunen und anderen Trägern der Wohnberatung und von Pflegestützpunkten ein Fortbildungsprogramm für die dort tätigen Beraterinnen und Berater entwickeln und entsprechende Angebote durch Weiterbildungsträger fördern, damit die Chancen der Digitalisierung dort bekannt und fachlich beurteilt werden können und so auch in die Beratung der Bürgerinnen und Bürger einfließen können.

(11) Die Landesregierung sollte ergänzend zu dem Programm „Miteinander Digital“ für die stationäre Pflege bei den Leistungsträgern und Pflegekassen darauf hinwirken, dass der Leistungskatalog für NRW an die Chancen der Digitalisierung angepasst wird und Digitalassistenz ausdrücklich in den Katalog aufgenommen wird. Erst wenn die Vergütung abgesichert ist, werden die Pflegedienste und hauswirtschaftlichen Dienste eine solche Assistenz anbieten und ihr Personal entsprechend schulen. Mit entsprechenden Schulungsangeboten kann die Landesregierung diese Leistungserweiterung unterstützen.

(12) Die Landesregierung sollte entweder ebenfalls in Ergänzung des Programms der Modellkommunen oder gesondert pilotartig und beispielgebend die Aktualisierung von kommunalen Altenpläne durch Berücksichtigung des Bedarfs und der örtlichen Angebote digitaler Leistungen für ältere Menschen fördern. Darin soll auch ausgeführt werden, wie festgestellte Angebotslücken geschlossen werden sollen (Altenhilfe 2.0).

(13) Die Landesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass auch bei älteren Bezieherinnen und Beziehern von Bürgergeld oder Grundsicherung im Alter die Kosten für die Anschaffung eines Tablets oder Laptops und Druckers übernommen oder bezuschusst werden. Bis zur Umsetzung sollte ein Fonds aufgelegt werden, aus dem die Kommunen des Landes nach der Feststellung eines besonderen Bedarf älterer Menschen die entsprechende Kostenübernahme finanzieren können.

(14) Die Landesregierung sollte sich um die Bereitstellung von Tablets bemühen, die Erfahrungsorten zur Ausleihe an Teilnehmende an Trainingsmaßnahmen befristet ausgeliehen werden. Dabei kann es sich sowohl um Spenden neuer Geräte von Herstellern und Sponsoren handeln als auch um das Sammeln und Aufbereiten gespendeter gebrauchter Geräte.

Diese Empfehlungen können auch den Verantwortlichen in anderen Bundesländern als eine Art Checkliste helfen, die eigenen Angebote daraufhin kritisch zu überprüfen, ob sie wirklich allen unterschiedlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten älterer Menschen gerecht werden, und gegebenenfalls Ergänzungen vorzunehmen, damit wirklich niemand bei der weiteren Digitalisierung zurückgelassen oder abgehängt wird.

Weitere Infos: Positionspapier Teilhabe stärken NRW 9-23.pdf

Ansehen

11.11.2023
Die darauf aufbauenden Forderungen finden Sie hier: zehn Forderungen und über den Link im Beitrag vom 7.11.2023
24.10.2023
Zu (7): Hessen bietet eine Telefon-Hotline zum OZG an unter https://lbit.hessen.de/landeskompetenzzentrum-barrierefreie-it/ozg-hotline