Digitale Teilhabe 65 plus

Beobachtungen, Gedanken, Fragen und Tipps
zur Überwindung der Alterslücke bei der Nutzung von digitalen Medien

Portrait: Herbert Kubicek
Prof. Dr. Herbert Kubicek
Jahrgang 1946
Über mich
05.07.2023

Koalitionsaussagen in Bremen zur Digitalen Verwaltung: Etwas mehr Bescheidenheit wäre angebracht

Gestern hat mich Radio Bremen um einen Kommentar zu den Ankündigungen im Abschnitt „Einfache, effiziente und digitale Verwaltung“ (S. 154 – 158) im aktuellen Koalitionsvertrag für die 21. Wahlperiode der Bremischen Bürgerschaft gebeten. Ich habe mir nicht nur diese Seiten angeschaut, sondern auch den Abschnitt „Digitalisierung“ in der Vereinbarung zur Zusammenarbeit in der Regierungskoalition 2019 bis 2023. Dort ist zu lesen: „Wir werden unsere Verwaltungen bürgerfreundlich modernisieren und sie entsprechend den Vorgaben des Onlinezugangsgesetzes bis 2023 digitalisieren. ... Unsere Leitlinie für die Digitalisierung der Freien Hansestadt Bremen ist „Users First“. Mit zusätzlichen online-Möglichkeiten, Termine zu vereinbaren, Fragen zu stellen, Dokumente zu bestellen. Der Senat wird in allen Zuständigkeitsbereichen die Prozesse so umzugestalten, dass die Leistungen für Bürgerinnen, Bürger, Unternehmen, Vereine und Verbände sowie andere Verwaltungen effizienter und effektiver erbracht werden.“

Die Bilanz:

Die nach OZG vorgegebenen 600 Verwaltungsleistungen sind noch lange nicht digitalisiert, von „Users First“ ist kaum etwas zu bemerken, so fehlt zum Bespiel immer noch ein telefonischer Support, wenn man nicht weiterkommt. Die Online-Terminvergabe hat die Wartezeiten auf einen Termin nicht verringert und eine Umgestaltung einzelner, geschweige denn aller Prozesse in allen Zuständigkeitsbereichen ist ebenfalls nicht zu erkennen.

Da ist es schon mutig, die gleichen Ankündigungen wieder zu machen, so als hätte man mit den unerledigten Ankündigungen von vier Jahren nichts zu tun. Und geradezu überheblich und realitätsfern klingt die Ankündigung:

„Als innovatives, neues Angebot werden wir ein digitales Bürgeramt schaffen. Jede online verfügbare Dienstleistung für Bürger*innen soll dort angeboten werden, wir werden damit das beste digitale Bürgerservice-Angebot in Deutschland schaffen. ... Unser Ziel ist für jede Lebenslage und für alle wesentlichen Bürgerdienstleistungen ein neues Service-Portal (Plattform) als sog. „Single Point of Contact“ für ein digitales, barrierefreies, datensparsames, mehrsprachiges und vor allem nutzerfreundliches Leistungsportfolio aus einem Guss.“

Der E-Government-Monitor 2022 stellt für die Nutzung in Deutschland im Vergleich zu Österreich und der Schweiz eine Stagnation auf niedrigem Niveau fest. Das gilt auch für Bremen. Das mehrfach als erfolgreiches Musterbeispiel erwähnte ELFE-Verfahren ist nach rund drei Jahren Entwicklung zwar auf einem guten Weg, aber lange noch nicht komplett und hat mit der eID als Zugangsvoraussetzung für beide Elternteile noch für viele nicht überwindbare Barrieren. Man kann daraus lernen, wie aufwendig die Umsetzung eines Konzepts mit vielen beteiligten Stellen in unterschiedlichen Bereichen ist. Eine stärkere Konzentration auf einige wenige Verfahren mit großer Nachfrage und vergleichsweise wenigen beteiligten Stellen und entsprechend geringeren Interoperabilitätsanforderungen, wie die in der Vereinbarung erwähnten Baugenehmigungen, ist ein realisierbares Versprechen.

Das noch nicht eingelöste Versprechen einer Verkürzung der Wartezeiten bei der Terminvergabe auf 14 bis 31 Tage ist mit dem dazu erforderlichen Personaleinsatz zu schaffen. Helfen kann dabei der angekündigte Einsatz von Dokumentenabholstationen. Ich konnte mir das beim ersten Lesen nicht im Hinblick auf die Sicherheitsanforderungen vorstellen. Aber in Offenbach gibt es seit letztem Jahre eine solche Station und das Konzept finde ich überzeugend und übertragbar.

Völlig unrealistisch und auch wenig effektiv finde ich die Ankündigungen zur Governance-Struktur für die Umsetzung der großen Ziele einschließlich der wieder angekündigten Überprüfung aller verwaltungsinternen Prozesse und Ämterstrukturen wie ein „Bürger- und Unternehmensservice-Digitalisierungsbüro, eine zentrale „Smart Governance“, ein „Responsible Disclosure“-Programm für die Landes-und Kommunalverwaltung.

Etwas mehr Reflektion der vergangenen vier Jahre, eine Konzentration auf einige wenige Vorhaben statt vage Breite und vor allem eine gesicherte Finanzierung der angekündigten Maßnahmen wären besser geeignet, den weit verbreiteten Zweifel an der Bürgernähe der Politik auf Landes- und Bundeseben entgegenzuwirken.

Ein Teil dieser Kommentare wurde in dem heute veröffentlichten Online-Beitrag von Radio Bremen verwendet: