Müssen Ärztinnen und Ärzte zur Nutzung der elektronischen Patientenakte gesetzlich verpflichtet werden ?
In dieser Woche hat das Deutsche Ärzteblatt ergänzend zu einem redaktionellen Beitrag "Ältere und Digitalisierung" ein Interview mit mir veröffentlicht, in dem es um die Digitale Teilhabe älterer Menschen generell und speziell um deren Nutzung digitaler Anwendungen im Gesundheitswesen geht. Dass diese gering ist, ist bekannt. Dass dies schwierig zu ändern ist, hingegen weniger. Nicht alles, was gut gemeint ist, wirkt zielführend. So helfen die niedrigschwelligen Angebote von ehrenamtlichen Digitalbotschafter:innen, -lots:innen oder -pat:innen zwar gut beim Einstieg in Anwendungen der Informationssuche und Kommunikation, aber deutlich weniger bei den höherschwelligen Anwendungen der Telemedizin, bei den GesundheitsApps, dem E-Rezept oder der elektronischen Patientenakte (ePA). Diese Anwendungen sind komplexer, riskanter und erfordern ein Vertrauen in die Helfenden und die anderen Nutzenden.
Entscheidend ist die Einbettung
Nach meiner Überzeugung gilt auch hier, was für den längerfristigen Erfolg der meisten Digitalisierungsmaßnahmen gilt: Nachhaltigkeit erfordert die technische, organisatorische, personelle und kulturelle Einbettung in die bewährten oder systemisch veränderten Strukturen der jeweiligen Leistungserbringung. Und dies gilt für die Leistungserbringung selbst ebenso wie für die Befähigung der Betroffenen. Die Motivation und Befähigung (nicht nur) älterer Menschen zur Nutzung personalisierter digitaler Gesundheitsdienste (Apps, E-Rezept und ePA) erfolgt daher am besten durch die vertrauenswürdigen Stellen, die diese Leistungen bisher schon analog erbringen, also vor allem die Arztpraxen und deren Personal.
Die Opt-Out-Regelung bei der ePA ist nicht die Lösung
Die Änderung der bisherigen Opt-In-Regelung in eine Opt-Out-Lösung wird nicht zu der von Bundesgesundheitsminister Lauterbach bezweckten und erwarteten stärkeren Nutzung führen. Auch wenn die Akte für alle Patientinnen und Patienten bereitgestellt wird, muss sie zur Nutzung vermutlich weiterhin in einer Arztpraxis mit einer PIN aktiviert werden und die Akte muss anschließend von allen behandelnden Ärztinnen und Ärzten befüllt und konsultiert werden. Nach der neuen Digitalstrategie des Gesundheitsministeriums „sollen 80 Prozent der gesetzlich Versicherten bis 2025 eine ePA haben und bis Ende 2025 ebenfalls 80 Prozent der ePA-Nutzer, die in medikamentöser Behandlung sind, über eine digitale Medikationsübersicht verfügen“, berichtet das Deutsche Ärzteblatt. Ich erwarte hingegen, dass Millionen Akten leer bleiben.
Lückenhafte Akten sind eine Gefahr für die Gesundheit
Man darf bezweifeln, dass in den nächsten Jahren alle behandelnden Ärztinnen und Ärzte alle von ihnen verschriebenen Medikamente in die ePA aller ihrer Patientinnen und Patienten eintragen. Wenn einige das nicht oder nicht immer tun, wird das Gegenteil von dem erreicht, was bezweckt wird. Wenn jemand mehrere Medikamente einnimmt, aber nur einige davon in der ePA vermerkt sind, kann bei einer neuen Verschreibung eine etwaige Unverträglichkeit nicht festgestellt werden. Oder anders ausgedrückt, wenn die Akte nicht die vollständige Medikation abbildet, kann man ihr nicht vertrauen. Opt-In- oder Opt-Out fokussiert auf die Seite der Patientinnen und Patienten. Für den Nutzen der ePA ist aber die Nutzung durch die Ärzteschaft ausschlaggebend. Um gesundheitliche Schäden durch nicht verträgliche Medikamente zu vermeiden, muss eine Vollständigkeit und Aktualität der Einträge gewährleistet werden. Dies ist nur durch eine gesetzliche Verpflichtung der Ärztinnen und Ärzte zu erreichen. An deren Durchsetzung bestehen jedoch berechtigte Zweifel.
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