Nachfrage nach Videosprechstunden sinkt - auch weil sie schwer zu finden sind
Videosprechstunden von Ärzten wurden 2017 von der Kassenärztlichen Vereinigung für die Abrechnung zugelassen. Nach einem enttäuschenden Start gab es mit der Corona-Pandemie einen kleinen Boom. Doch dieser hat nicht zu einer breiteren Akzeptanz geführt. Kassen und Anbieter beklagen das und betonen die großen Vorteile für die Patientinnen und Patienten und die Arztpraxen: Ersparnis von Wegen und Wartezeiten, kein Infektionsrisiko im Wartezimmer und schnellere örtliche Diagnose nach Online-Vorabklärung auf der einen Seite, keine überfüllten Wartezimmer und einfache Hinzuziehung von Fachkollegen auf der anderen Seite. Warum sinkt dann die Nutzung?
TK: Zahl der Videosprechstunden seit 2021 um 40 Prozent gesunken
Anfang August hat die Technikerkrankenkasse einen deutlichen Rückgang der abgerechneten Videosprechstunden im zweiten Jahr in Folge gemeldet. Während 2021 noch 956.000 Videosprechstunden stattfanden, sank die Zahl im vergangenen Jahr auf 576.000, "obwohl die Videosprechstunde ihr Potenzial, die Versorgung sinnvoll zu ergänzen, während der Pandemie bewiesen hat"
Vor einem Jahr hatte bereits die TK Rheinland-Pfalz einen Rückgang der Nutzungszahlen gemeldet. Eine von der TK in Auftrag gegebene FORSA-Umfrage in Rheinland-Pfalz, Hessen und dem Saarland habe ergeben, "dass lediglich zehn Prozent der Befragten schon einmal per Videosprechstunde mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin gesprochen haben. Und: "Bundesweit gab die Mehrheit der Befragten (55 Prozent) an, nicht zu wissen, wie man eine solche Sprechstunde vereinbart. Ein Drittel kennt das Angebot bislang nicht und bei nahezu der Hälfte bietet die Arztpraxis, nach Aussage der Befragten, keine Videosprechstunden an." Auch in dieser Pressemeldung werden die stets genannten Vorteile herausgestellt: "So könnten beispielsweise bei einem Infekt digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt werden, Heilungsfortschritte von Operationswunden begutachtet oder Patienten oder Patientinnen mit chronischen Erkrankungen in regelmäßigen Abständen betreut werden." Aber es werden keine Konsequenzen aus dem offenkundigen Informationsproblem gezogen.
In Bremen steigt das Angebot und die Nachfrage nimmt ab
Für Bremen hatte der Weser Kurier im Februar 2024 eine Kurzumfrage bei Arztpraxen durchgeführt und festgestellt, dass das Angebot nach der Corona-Pandemie weiter gestiegen ist. Im Januar 2020 vor Corona gab es nur von zwei Arztpraxen ein Video-Angebot, ein Halbes Jahr später nach dem rasanten Anstieg der Corona-Infektionen waren es rund 400, aktuell im Februar 2024 waren es dann sogar 612 Arztpraxen, überwiegend Psychotherapeuten, Internisten und Allgemeinmediziner. Aber die befragten Ärzte berichten überwiegend von einem Rückgang der Nachfrage. In dem Artikel wird auch von einem Fall berichtet, bei dem der Arzt eine medizinische Fachangestellte zu Hausbesuchen schickt, die dort Blutdruck und andres misst und dies dann mi ihrem Laptop per Video mit dem Arzt bespricht.Die KBV hat die Bedingungen und Möglichkeiten mehrfach verbessert
Auf den Internet-Seiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung kann man stets aktuell sehen, für welche Leistungen Videosprechstunden abgerechnet werden können, welche Technik und welche Zertifikate erforderlich sind, wie die Honorare geregelt sind u.a.m.. Durften zunächst nur der Praxis bekannte Patientinnen und Patienten per Videosprechstunde behandelt werden, geht dies inzwischen auch für unbekannte Personen. So wurden Krankschreibungen für sieben Tage und bei Unbekannten für drei Tage zugelassen u.a.m.
Der Verband der Anbieter will noch bessere Bedingungen
Ärzte dürfen Videosprechstunden nicht über ihre eigene Internetseiten anbieten, sondern müssen einen zertifizierten Diensteanbieter zwischenschalten, auf den verlinkt wird. Die KBV veröffentlicht ein aktuelles Verzeichnis. Im Juli 2024 waren dort 89 Anbieter registriert. Bei dem kleinen und nun schrumpfenden Markt kann sich das für die meisten Anbieter wirtschaftlich kaum lohnen. Die Interessenvertretung dieser Branche, der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung, forderte im August 2023 daher in einem Positionspapier mehr Planungssicherheit für die Unternehmen: "Diese Planungssicherheit umfasst beispielsweise klare Vergütungsmechanismen für Telemedizin, die Möglichkeit, über telemedizinische Leistungen zu informieren und den Anschluss an die digitale Infrastruktur." Bei den einzelnen Forderungen geht es vor allem um Vergütungsfragen und technische Fragen. Zum Punkt besser informieren wird die Aufhebung des Werbeverbots im Heilmittelgesetz gefordert. Wenn man die Ergebnisse der zitierten FORSA-Umfrage hinzuzieht, erscheint in puncto Information noch mehr nötig.
Wie kann man einen Arzt mit einer Videosprechstunde finden
Das beanstandete Werbeverbot für Videosprechstunden hat der BGH 2021 bestätigt und wurde im Dezember 2022 vom OLG Karlsruhe konkret in Bezug auf die Erlangung von Rezepten bekräftigt. Beide Gerichte halten Videosprechstunden nur in einem sehr begrenzten Umfang von Fällen für geeignet und ausreichend und daher eine allgemeine Werbung für unzulässig, die den Eindruck erweckt, eine Videosprechstunde könne in allen Fällen helfen. Wenn Arztpraxen nicht im Internet werben und nicht einmal ankündigen dürfen, dass sie Videosprechstunden anbieten, kann man sie bei Bedarf mit Hilfe einer Suchmaschine nicht finden.
Aber einige Ärztinnen und Ärzte in Bremen halten sich nicht daran. Wenn man bei Google oder Bing den Suchbegriff "Arzt mit Videosprechstunde in Bremen" eingibt, werden zehn bzw. 18 Praxen angezeigt. Wenn es laut Weser-Kurier aber 612 gibt, ist das kein verlässlicher Weg. Ich habe daher nach einer Liste der Kassenärztlichen Vereinigung online gesucht, keine gefunden und bei der Bremer KV nachgefragt. Es gibt eine solche Liste nicht. Auch wenn man den ärztlichen Notruf anruft oder die Terminvergabe, bekommt man keine Auskunft speziell zu Praxen mit Videosprechstunden. Bei der KV Bremen wurde mir erklärt, das Anbieten von Videosprechstunden sei keine Pflichtangabe der Praxen, daher lägen keine vollständigen Angaben für alle Mitglieder vor.
In den ersten Jahren stellte sich das Problem nicht, weil Videosprechstunden nur für bekannte Patientinnen und Patienten von den Kassen erstattet wurden. Man ging also zuerst zu einem Arzt und dieser konnte dann für Folgebehandlungen Videosprechstunden anbieten. Externe Werbung war nicht erforderlich. Aber mit der Zulassung für unbekannte Patientinnen und Patienten hat sich die Situation komplett geändert, ohne die Umsetzung dieser Erweiterung bis zum Ende zu durchdenken. Wie soll jemand, der keinen Hausarzt hat, etwa weil die Praxis an seinem Wohnort auf dem Land geschlossen wurde, im Bedarfsfall einen Arzt mit einer Videosprechstunde finden? Wenn dies möglich sein soll und das Werbeverbot weiterhin gilt, müssen die kassenärztlichen Vereinigungen auf Ländereben solche Verzeichnisse bereitstellen. Rechtlich kann das kein Problem sein, da sie schon ein Verzeichnis der Diensteanbieter veröffentlicht und eine solche Liste individuelle keine Werbung ist, da alle Praxen gleich behandelt werden.
Die Angebote einiger Krankenkassen
Bis dahin bleiben als Informationsquelle vor allem die in meinem Blog vom 1.7.2022 erwähnten Angebote der Barmer, AOK und TK mit jeweils eigenen Apps für die Vermittlung von Videosprechstunden. Merkwürdig ist, dass die TK in ihrer Pressemitteilungen zum Rückgang der Nutzungszahlen nicht auf dieses eigene Angebot ihrer TK-Doc-App hingewiesen hat. Bei meinen verschiedenen Suchanfragen zu Angeboten von Videosprechstunden war bei den ersten zehn Treffen kein Angebot einer Kassen zu finden. Hier könnten mehr Werbung und bessere Meta-Daten für die Aufifndbarkeit in Suchmaschinen vielleicht dem Rückgang der Nutzung entgegenwirken.Ansehen