Ist es eine zukunftsfähige Arbeitsteilung, wenn die Digitalwirtschaft die Angebote macht und die Zivilgesellschaft für die erforderlichen Kompetenzen zur Nutzung sorgen muss?
Teil 2 Gedanken anlässlich des Digital Gipfel
Kurze Lage-Skizze
In dem vorangegangenen Beitrag zur Master Class der Initiative D21 zu Digitalen Kompetenzen habe ich zum Schluss etwas überspitzt diese Frage nach der Verantwortung und Zuständigkeit für die Verbesserung der digitalen Kompetenzen gestellt. Die Antwort ist selbstverständlich, dass dies keine tragfähige Basis ist. Aber seltsamerweise wird darüber nicht diskutiert und noch weniger in struktureller Hinsicht getan, um die digitalen Kompetenzen in der erwachsenen und insbesondere nicht berufstätigen Bevölkerung zu verbessern.
Für Kinder und Jugendliche gibt es den mit über 5 Milliarden ausgestatteten DigitalPakt Schule, für die Berufstätigen sind die Arbeitgeber zuständig, aber für die nicht berufstätige Bevölkerung, also Hausfrauen und Hausmänner sowie Arbeitslose in jedem Alter und die ältere Bevölkerung fühlt sich niemand strukturell verantwortlich. Der Bund fördert in dem DigitalPakt Alter mit der irreführenden Assoziation zum DigitalPakt Schule bisher in drei Jahren gerade einmal 250 Erfahrungsorte für jeweils drei Monate. Viele Bundesländer haben ähnliche zeitlich begrenzte Förderungen von 20 bis 50 ähnlichen Einrichtungen. Der Digital Kompass der BAGSO führt eine Liste "Wer macht was" und der DigitalPakt Alter hat Angaben zu rund 500 Einrichtungen. Wie viele es insgesamt gibt, wenn man auch kleinere Initiativen mit sporadischen Angeboten hinzunehmen würde, weiss niemand. Auch wenn es tausend wären, würde das für die im Fact Sheet geschätzten 25 bis 30 Mio. Millionen Menschen mit Kompetenzlücken und Unterstützungsbedarf nur der bekannte Tropfen sein.
Die Kommission für den Achten Altersbericht sieht bei der Entwicklung der digitalen Kompetenzen gewisse Fortschritte, bezeichnet aber die Gesamtlage als "heterogen, unübersichtlich und instabil"und sieh vor allem die Kommunen in der Pflicht. Das tue ich auch mit meinen Plädoyers für eine Berücksichtigung digitaler Teilhabe in der gesetzlichen Altenhilfe. Aber dabei geht es um eine koordinierende Aufgabe von Beiträgen verschiedener Stakeholder. Eine Gruppe, die sich aus wirtschaftlichem Interesse besonders engagieren sollte, kommt in diesen Debatten so gut wie nicht vor und mischt sich auch nicht mit eignen Angeboten ein./p>
Im Folgenden habe ich zunächst einmal die Befunde des Digital Index zu den Digitalen Kompetenzen aus den letzten zehn Jahren verglichen, um zu sehen, wie sich diese verändert haben. Dann schaue ich kurz auf das Programm des Digital Gipfel, um zu sehen, welche Bedeutung digitalen Kompetenzen hier zugewiesen wurde. Abschließend stelle ich zwei Frageblöcke vor, die ich gerne in der Master Class mit den Teilnehmenden aus Wirtschaft und Verwaltung besprochen hätte. Das ging aus Zeitgründen nicht. Aber diese Fragen könnten die Basis für eine Wer-macht was-Umfrage in der Digitalwirtschaft sein.
Wie haben sich die gemessenen digitalen Kompetenzen seit 2013 verändert ?
Der Digital-Index wurde 2013 von der Initiative D21 als auf Dauer angelegte Messgröße für den Digitalisierungsgrad in Deutschland eingeführt. Er beseht aus vier Subindizes, die aus den Antworten auf 24 Fragen gebildet werden und mit unterschiedlichem Gewicht in den Gesamtindex eingehen.:
- Zugang (30%)
- Nutzung (10%)
- Digitale Kompetenz (40%)
- Offenheit (20%).
Der Index soll eine Maßzahl sein „die für alle relevanten Entscheider aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft eine neue Zielausrichtung definiert." Hat er das in Bezug auf die Digitalen Kompetenzen geschafft?
In der folgenden Abbildung sind die Werte für vier Messungen in den Jahren 2013, 2018/19, 2020/21 und 2023/24 aus den Dokumenten kopiert.
Wirklich vergleichbar sind nur die angaben für 2013 und 2018/19 einerseits und die für 20/21 und 2023/24, weil 2021 die Fragen auf den damals eingeführten EU-Kompetenzrahmen für digitale Kompetenzen umgestellt wurden.
- Von 2013 bis 2018/19 ist der Wert des Subindex von 50,3% auf 49% gefallen,
- von 2020/21 bis 2023/24 von 53% auf ebenfalls auf 49% gefallen.
Dieses Ergebnis ist in zweifacher Hinsicht erstaunlich. Zum einen hat sich danach die digitale Kompetenz der Bevölkerung in Deutschland in zehn Jahren nicht verbessert.. Dauerhaft wurden von der Bevölkerung ab 14 Jahre im Durchschnitt nur 50 von 100 Punkten erreicht. Zum anderen finde ich es ebenso erstaunlich, dass dieser Stillstand die Entscheider in Wirtschaft und Politik nicht zu interessieren scheint, weil immer noch keine geeigneten Gegenmaßnahmen in entsprechend großem Stil ergriffen werden.
Digitale Kompetenzen haben auf dem Digitalgipfel kein Gewicht
Die Digitalen Kompetenzen sind von den vier Säulen des Digitalisierungsgrades in Deutschland mit 40% die gewichtigste. Auf dem Digitalgipfel haben sie jedoch so gut wie kein Gewicht erhalten. Von 70 Sessions im Programm haben sich nur drei mit digitalen Kompetenzen befasst:
- Am Montag Vormittag bei den Veranstaltungen mit hochrangiger Besetzung überwiegend aus Bundesministerien gab es von 15 Veranstaltungen eine zu "KI in der Zivilgesellschaft: Digitale Kompetenzen und klare Richtlinien für mehr Teilhabe" mit Dr. Regina Görner, Präsidentin Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e. V., Kathrin Sonnenholzner, Präsidentin AWO Bundesverband, Dr. Arne Upmeier, Direktor der Bibliothek, Karlsruher Institut für Technologie und Armand Zorn, MdB, Mitglied im Ausschuss für Digitales.
- Am Nachmittag war keine der 18 Sessions dem Themenfeld digitale Kompetenzen gewidmet.
- Am Dienstag Vormittag war von 21 Angeboten die Master Class von D 21 die einzige, bei der es um die digitalen Kompetenzen in den Bereichen Kinder und Jugendliche, Berufstätige, ältere Bevölkerung und im öffentlichen Dienst ging.
- Am Dienstag Nachmittag gab es dann von 15 Sessions ebenfalls nur eine mit dem Thema "Erfolgsfaktor Digitalkompetenz: Innovative Ansätze aus der Unternehmenspraxis", die sich mit Beispielen aus der Unternehmenspraxis in Bezug auf Mitarbeitende sowie Verbraucherinnen und Verbraucher beschäftigt hat mit B eiträgen von Dr. Christiane Rohleder, Staatssekretärin im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Valentina Daiber, Telefónica Germany, Dr. Heidrun Mollenkopf, Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e. V., Isabelle Rosière, Deutschland sicher im Netz e. V. und Yenia Zaba, NewWork
Bemerkenswert ist nicht nur die geringe Anzahl von Angeboten zu diesem gewichtigen Themenfeld, sondern auch wer jeweils dazu eingeladen wurde: In der ersten Veranstaltung Vertreterinnen der Seniorenorganisationen und Wohlfahrtsverbände, bei den drei anderen Angeboten ebenfalls Personen aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Personen aus Unternehmen nur so weit es um die digitalen Kompetenzen der Mitarbeitenden geht. Dieser Befund bestätigt meine etwas zugespitzte Frage zu Arbeitsteilung zwischen Digitalwirtschaft und Zivilgesellschaft.
Was tun die Digitalunternehmen für die Kompetenzen und den Support der Verbraucherinnen und Verbraucher?
Dass die Öffentliche Verwaltung mehr für die Schulung und den Support der Bürgerinnen und Bürger tun muss, wenn sie die Nutzungsquoten der Online-Angebote erhöhen will, habe ich schon öfters begründet und zuletzt auch ein Vorbild in Hamburg gefunden. Sind die Digitalunternehmen in dieser Hinsicht besser, weil es um Umsatz und Kostenersparnis geht? Oder trifft meine These zu, dass sie viel zu wenig tun und die entsprechenden Kosten scheuen? Darüber was die Digitalunternehmen bzw. Unternehmen mit digitalen Angeboten für Verbraucherinnen und Verbraucher tun, gibt es keine Untersuchung und keine Daten. Vor allem größere Unternehmen haben telefonische Hotlines, in denen man oft viel Geduld aufbringen muss.. und bieten FAQs und auch Chats als bei Benutzungsproblemen auf ihren Web-Seiten und den Apps an. Doch dazu braucht man selbst digitale Kompetenzen, um das jeweilige Problem richtig zu beschreiben und um die Empfehlungen zu verstehen und umzusetzen. Wir erinnern uns: Nach dem Fact Sheet aus dem vorangegangenen Beitrag sind im Durchschnitt nur 57% der Befragten ab 14 Jahre in der Lage "Unterstützung bei technischen Problem in Netz zu finden", in der Altersgruppe 70+ sind es nur 25%.
Ich wollte die Master Class auch nutzen, selbst Fragen an die Teilnehmenden aus Wirtschaft und Verwaltung zu stellen und habe dazu zwei Bögen für eine Abfrage in der Runde vorbereitet. Doch dazu war angesichts der vielen Fragen der Teilnehmenden keine Zeit. Die beiden Bögen sind als pdf aufzurufen und können heruntergeladen werden.
Was Anbieter tun und was sie noch tun könnten
Der eine Bogen listet auf, was Unternehmen tun können, um zur Nutzung ihrer Angebote zu motivieren, qualifizieren und bei Problemen zu helfen Er zeigt, was alles möglich ist und worüber Unternehmen (und Verwaltungen) nachdenken sollten, um die Nutzung ihrer Angebote zu erhöhen.
Wer sollte angesichts unterschiedlicher Bedarfe was tun?
Wichtig ist, dass die Unterstützungsangebote bedarfsgerecht sind. Die finanziellen, geistigen und körperlichen Ressourcen in der Bevölkerung von 14 bis weit über 90 Jahre unterscheiden sich erheblich, bei Offlinern wie bei Onlinern. M.E. sind mindestens sechs Barrieren zu beachten, die mit passenden Angeboten überwunden werden müssen, wenn wirklich alle teilhaben können sollen:
Darauf bezogen fragt der zweite Bogen, wer für Maßnahmen zur Überwindung dieser Barrieren aus einer Liste möglicher Akteure Verantwortung übernehmen sollte.
Vielleicht mögen Sie selbst auch einmal darüber nachdenken und mit anderen diskutieren.