Digitale Teilhabe 65 plus

Beobachtungen, Gedanken, Fragen und Tipps
zur Überwindung der Alterslücke bei der Nutzung von digitalen Medien

Portrait: Herbert Kubicek
Prof. Dr. Herbert Kubicek
Jahrgang 1946
Über mich
13.10.2024

Was soll gegen Fakes getan werden? Ein Bürgergutachten und ein Faktencheck

Titelblatt des Bürgergutachtens  Bild eines Mannes der über ein Loch im Boden  schreitet

Bildquelle: Titelblatt Forum gegen Fakes. Bürgergutachten zum Umgang mit Desinformation. Bertelsmann Stiftung 2024, Gütersloh.

Fakes und Faktencheck

Nicht erst seit ChatGPT und anderen KI-Programmen wird es schwierig, die Wahrheit von Nachrichten und die Echtheit von Fotos zu erkennen. Phishing Mails sind auch ohne KI immer besser geworden. Photos wurden mit Photoshop verändert. Beim Klimaschutz schon lange und während der Corona-Pandemie besonders waren viele Falschmeldungen im Umlauf, die nicht von allen als solche erkannt wurden. Wirklich neu ist das Problem also nicht. Aber Desinformation und Fälschungen werden mehr und immer besser, so dass vor allem im Zusammenhang mit Wahlen ernsthafte Gefahren für die Demokratie beschworen werden. Daher gibt es unterschiedliche Empfehlungen oder Forderungen an die Politik noch stärker und effektiver dagegen vorzugehen. Wie gut begründet sind sie? Wie realistisch ist die Umsetzung? Werden dabei teilweise unerfüllbare Erwartungen geweckt? Darauf eine Antwort am Beispiel eines aktuellen Bürgergutachtens der BertelsmannStiftung.

Ein Bürgergutachten der BertelsmannStiftung

Es gibt bereits viele Publikationen zu diesem Thema, u.a. von der Bundeszentrale für politische Bildung sowie mehrerer Landeszentralen und Landesmedienanstalten. Angesichts des Superwahljahrs 2024 hat die BertelsmannStiftung in einer Umfrage 2023 die Problemwahrnehmung und den eigenen Umgang mit Desinformation bei über 5.000 Teilnehmenden in Deutschland und rund 2.000 in den USA ermittelt. Der Titel Verunsicherte Öffentlichkeit trifft die Lage sehr gut. In der vergangenen Woche ist ein neues Format hinzugekommen. Die BertelsmannStiftung hat ein Bürgergutachten veröffentlicht und schreibt dazu in der Rund-Mail:

"Demokratien geraten durch Fakes und Manipulation von Informationen im Internet immer stärker unter Druck. Um gegen diese Entwicklung anzutreten hat die Bertelsmann Stiftung das Projekt „Forum gegen Fakes – Gemeinsam für eine starke Demokratie" ins Leben gerufen. Rund 424.000 Teilnehmende haben sich an dem Projekt beteiligt. Sie erstellten rund 3.300 Vorschläge und stimmten insgesamt rund 1,5 Mio. mal darüber ab, wie wir Desinformation im Netz begegnen können. Ein Bürgerrat aus über 120 Teilnehmenden erarbeitete auf dieser Grundlage, informiert durch Expertinnen und Experten, 15 Empfehlungen mit 28 konkreten Maßnahmen zum Umgang mit Desinformation für Politik, Medien, Bildungseinrichtungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

Zentral für die Teilnehmenden des Bürgerrats ist der grundgesetzliche Schutz unserer Meinungsfreiheit bei der gleichzeitigen Suche nach neuen Wegen im Einsatz gegen Desinformation. Es gilt: Wir müssen alle wachsamer und aktiver werden. Ein wichtiges Anliegen für die Bürgerinnen und Bürger ist die Stärkung der Medienkompetenz in der Bevölkerung. Wichtig sind ebenfalls Maßnahmen, die den Menschen ein besseres Verständnis ermöglichen, woher Informationen kommen, beispielsweise durch eine bessere Rückverfolgung von Quellen in Online-Artikeln und Social-Media-Posts. Die Kennzeichnung von Inhalten, die durch Künstliche Intelligenz hergestellt wurden, soll Transparenz schaffen. Zudem gelte es die Betreiber von Social-Media-Plattformen stärker in die Pflicht zu nehmen, Maßnahmen gegen Desinformation zu ergreifen".  

Die Vorschläge sind überwiegend nicht neu. Die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger sind keine Expertinnen und Experten mit eigenen Forschungsergebnissen, sondern nennen und bewerten die Vorschläge, die sie aus den Medien kennen. Aber es ist durchaus interessant zu sehen, welche Prioritäten dabei herauskommen. In dem Bericht werden die Zustimmungsraten aus den Präsenz-Diskussionen im Bürgerrat denen aus der Online-Umfrage gegenübergestellt.

15 Empfehlungen zu 5 Handlungsfeldern im Vergleich

Die höchste Zustimmung mit 99% hat im Bürgerrat die Empfehlung einer Aktionswoche erhalten: Durchführung einer jährlich stattfindenden bundesweiten Aktionswoche zur Aktivierung der Bevölkerung gegen Desinformation. Ziel: Die Aktionswoche soll die gesamte Bevölkerung befähigen, Desinformation zu erkennen." In der Online-Umfrage hat eine Maßnahme im Handlungsfeld Medienpraxis und Förderung der Transparenz mit 73% die höchste Zustimmung gefunden. Ein solcher Unterschied ist Anlass die Ranglisten beider Bewertungen zu vergleichen (Tabelle1).

Tabelle mit den Zustimmungsraten beim Bürgerrat und in der Online-Umfrage

Tabelle 1: Vergleich der Zustimmungsraten beim Bürgerrat und in der Online-Umfrage

Bei einem Vergleich der Ranglisten ist zu berücksichtigen, dass sich bei den Erhebungsmethoden Präsenz und Online der Informationsstand und der Erfahrungshintergrund der Teilnehmenden unterscheiden. Die Mitglieder des Bürgerrats haben sich in mehreren Runden intensiv mit den Vorschlägen befasst und konnten dabei auf Expertinnen und Experten zugreifen. Die Teilnehmenden an der Online-Umfrage haben vielleicht intuitiv geklickt oder nur kurz nachgedacht, aber alle haben eigene Erfahrungen mit Sozialen Medien. Für die meisten Empfehlungen sind die Zustimmungsraten des Expertenrats doppelt so hoch wie die in der Online-Umfrage. Geht man davon aus, dass die Zustimmung zu einer Maßnahme auf der Annahme beruht, dass sie umsetzbar und mehr oder weniger wirkungsvoll ist, so deuten diese Unterschiede darauf hin, dass die Teilnehmenden an der Online-Umfrage in dieser Hinsicht deutlich skeptischer sind als die Mitglieder des Bürgerrats.

Empfehlungen zur Medienkompetenz

In der Rund-Mail wird die Stärkung der Medienkompetenz in der Bevölkerung als wichtiges Anliegen der Bürgerinnen und Bürger, die an diesem Gutachten teilgenommen haben, hervorgehoben. Mit Bezug auf die Schulen ist dies Konsens und mit dem DigitalPakt Bildung sind dafür von Bund und Ländern rund 6,5 Mrd. Euro bereitgestellt worden. Aber wie steht es mit der Empfehlung "Vermittlung von Medienkompetenz für Erwachsene"? Das Ziel ist es, "Medienkompetenz an so viele Erwachsene wie möglich zu vermitteln, um Desinformation vorzubeugen und sich im Alltag sicherer zu bewegen." Dazu sollen folgende freiwillige Maßnahmen beitragen:

Das ist sehr konkret, aber die Realisierbarkeit und Wirksamkeit der Vorschläge sind höchst fragwürdig und sollen daher einem Faktencheck unterzogen werden. Man darf annehmen, dass die Expertinnen und Experten bei Ihrer Beratung berücksichtigt haben, wie der Stand der Medienkompetenz in verschiedenen Altersgruppen der erwachsenen Bevölkerung ist, welche Angebote es dazu bundesweit bereits gibt und was diese bisher bewirkt haben. Das spiegelt sich in den Empfehlungen nicht wider.

Stand der Informationskompetenz

Medienkompetenz umfasst viele Bereiche. Der EU-Kompetenzrahmen DigiCom unterscheidet fünf Bereiche. Für den Umgang mit Desinformation und Fakes einschlägig ist die "Informations- und Datenkompetenz" mit den drei Teilbereichen Informationen und Dateien finden, prüfen und verwalten. Zur Operationalisierung werden vier Kompetenzniveaus von "basic" bis "highly specialized" unterschieden, die mit jeweils zwei Selbsteinschätzungsfragen gemessen werden können. Der jährliche DigitalIndex der Initiative D21 stellt dazu in seinen repräsentativen Umfragen in der Bevölkerung ab 14 Jahre seit 2018 leicht abgewandelte Fragen mit folgenden Ergebnissen:

In der erwähnten Umfrage der BertelsmannStiftung sagen

Bei diesen Angaben ist zu berücksichtigen, dass Selbsteinschätzungen eine Tendenz zu besseren Werten haben. Daher wurde im Projekt "Digitale Nachrichten und Informationskompetenz der Stiftung Neue Verantwortung, das u.a., von der Bundeszentrale für politische Bildung und mehreren Landesmedienanstalten unterstützt wird, eine Kompetenzmessung anhand von Testaufgaben durchgeführt. (Bericht). Dabei haben im Herbst 2020 4.194 Internetnutzende ab 18 Jahren anhand von Screenshots eine Reihe von Testfragen beantwortet. Im SPIEGELhat eine der Autorinnen zentrale Ergebnisse so zusammengefasst:

Den Test können Sie hier selbst machen.

Diese Daten deuten auf einen eher geringen Stand der Informationskompetenz hin und sprechen für Maßnahmen zu deren Verbesserung. Allerdings sollten dabei auch die Gründe für diesen geringen Stand reflektiert werden. Als erstes bietet sich dazu eine Differenzierung dieser Daten nach Alter, Geschlecht und Bildung an. Besonders relevant für die Einschätzung der Erfolgsaussichten von Maßnahmen im Bereich Medienkompetenz sind Bildungsunterschiede. Der DigitalIndex hat diesbezüglich in einer Sonderauswertung zur Digital Skill Gap deutliche Unterschiede festgestellt (Abbildung 1).

Säulendiagramm mit Angaben zur Informationskompetenz in Abhängigkeit vom Bildungsniveau

Abb.1: Informationskompetenz in Abhängigkeit vom formalen Bildungsstand (Quelle Initiative D21: Digital Skill Gap)

Diese bildungsbedingten Unterschiede bei der Informationskompetenz entsprechen dem allgemeinen Bildungsgefälle in der Bevölkerung, das seit Jahrzehnten nicht verringert werden konnte. Das dürfte auch bei Maßnahmen zur Verbesserung der Medienkompetenz der Fall sein.

Organisation und Finanzierung geeigneter Angebote