Was soll gegen Fakes getan werden? Ein Bürgergutachten und ein Faktencheck
Bildquelle: Titelblatt Forum gegen Fakes. Bürgergutachten zum Umgang mit Desinformation. Bertelsmann Stiftung 2024, Gütersloh.
Fakes und Faktencheck
Nicht erst seit ChatGPT und anderen KI-Programmen wird es schwierig, die Wahrheit von Nachrichten und die Echtheit von Fotos zu erkennen. Phishing Mails sind auch ohne KI immer besser geworden. Photos wurden mit Photoshop verändert. Beim Klimaschutz schon lange und während der Corona-Pandemie besonders waren viele Falschmeldungen im Umlauf, die nicht von allen als solche erkannt wurden. Wirklich neu ist das Problem also nicht. Aber Desinformation und Fälschungen werden mehr und immer besser, so dass vor allem im Zusammenhang mit Wahlen ernsthafte Gefahren für die Demokratie beschworen werden. Daher gibt es unterschiedliche Empfehlungen oder Forderungen an die Politik noch stärker und effektiver dagegen vorzugehen. Wie gut begründet sind sie? Wie realistisch ist die Umsetzung? Werden dabei teilweise unerfüllbare Erwartungen geweckt? Darauf eine Antwort am Beispiel eines aktuellen Bürgergutachtens der BertelsmannStiftung.
Ein Bürgergutachten der BertelsmannStiftung
Es gibt bereits viele Publikationen zu diesem Thema, u.a. von der Bundeszentrale für politische Bildung sowie mehrerer Landeszentralen und Landesmedienanstalten. Angesichts des Superwahljahrs 2024 hat die BertelsmannStiftung in einer Umfrage 2023 die Problemwahrnehmung und den eigenen Umgang mit Desinformation bei über 5.000 Teilnehmenden in Deutschland und rund 2.000 in den USA ermittelt. Der Titel Verunsicherte Öffentlichkeit trifft die Lage sehr gut. In der vergangenen Woche ist ein neues Format hinzugekommen. Die BertelsmannStiftung hat ein Bürgergutachten veröffentlicht und schreibt dazu in der Rund-Mail:
"Demokratien geraten durch Fakes und Manipulation von Informationen im Internet immer stärker unter Druck. Um gegen diese Entwicklung anzutreten hat die Bertelsmann Stiftung das Projekt „Forum gegen Fakes – Gemeinsam für eine starke Demokratie" ins Leben gerufen. Rund 424.000 Teilnehmende haben sich an dem Projekt beteiligt. Sie erstellten rund 3.300 Vorschläge und stimmten insgesamt rund 1,5 Mio. mal darüber ab, wie wir Desinformation im Netz begegnen können. Ein Bürgerrat aus über 120 Teilnehmenden erarbeitete auf dieser Grundlage, informiert durch Expertinnen und Experten, 15 Empfehlungen mit 28 konkreten Maßnahmen zum Umgang mit Desinformation für Politik, Medien, Bildungseinrichtungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.
Zentral für die Teilnehmenden des Bürgerrats ist der grundgesetzliche Schutz unserer Meinungsfreiheit bei der gleichzeitigen Suche nach neuen Wegen im Einsatz gegen Desinformation. Es gilt: Wir müssen alle wachsamer und aktiver werden. Ein wichtiges Anliegen für die Bürgerinnen und Bürger ist die Stärkung der Medienkompetenz in der Bevölkerung. Wichtig sind ebenfalls Maßnahmen, die den Menschen ein besseres Verständnis ermöglichen, woher Informationen kommen, beispielsweise durch eine bessere Rückverfolgung von Quellen in Online-Artikeln und Social-Media-Posts. Die Kennzeichnung von Inhalten, die durch Künstliche Intelligenz hergestellt wurden, soll Transparenz schaffen. Zudem gelte es die Betreiber von Social-Media-Plattformen stärker in die Pflicht zu nehmen, Maßnahmen gegen Desinformation zu ergreifen".
Die Vorschläge sind überwiegend nicht neu. Die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger sind keine Expertinnen und Experten mit eigenen Forschungsergebnissen, sondern nennen und bewerten die Vorschläge, die sie aus den Medien kennen. Aber es ist durchaus interessant zu sehen, welche Prioritäten dabei herauskommen. In dem Bericht werden die Zustimmungsraten aus den Präsenz-Diskussionen im Bürgerrat denen aus der Online-Umfrage gegenübergestellt.
15 Empfehlungen zu 5 Handlungsfeldern im Vergleich
Die höchste Zustimmung mit 99% hat im Bürgerrat die Empfehlung einer Aktionswoche erhalten: Durchführung einer jährlich stattfindenden bundesweiten Aktionswoche zur Aktivierung der Bevölkerung gegen Desinformation. Ziel: Die Aktionswoche soll die gesamte Bevölkerung befähigen, Desinformation zu erkennen." In der Online-Umfrage hat eine Maßnahme im Handlungsfeld Medienpraxis und Förderung der Transparenz mit 73% die höchste Zustimmung gefunden. Ein solcher Unterschied ist Anlass die Ranglisten beider Bewertungen zu vergleichen (Tabelle1).
Tabelle 1: Vergleich der Zustimmungsraten beim Bürgerrat und in der Online-Umfrage
Bei einem Vergleich der Ranglisten ist zu berücksichtigen, dass sich bei den Erhebungsmethoden Präsenz und Online der Informationsstand und der Erfahrungshintergrund der Teilnehmenden unterscheiden. Die Mitglieder des Bürgerrats haben sich in mehreren Runden intensiv mit den Vorschlägen befasst und konnten dabei auf Expertinnen und Experten zugreifen. Die Teilnehmenden an der Online-Umfrage haben vielleicht intuitiv geklickt oder nur kurz nachgedacht, aber alle haben eigene Erfahrungen mit Sozialen Medien. Für die meisten Empfehlungen sind die Zustimmungsraten des Expertenrats doppelt so hoch wie die in der Online-Umfrage. Geht man davon aus, dass die Zustimmung zu einer Maßnahme auf der Annahme beruht, dass sie umsetzbar und mehr oder weniger wirkungsvoll ist, so deuten diese Unterschiede darauf hin, dass die Teilnehmenden an der Online-Umfrage in dieser Hinsicht deutlich skeptischer sind als die Mitglieder des Bürgerrats.
- Nachvollziehbar ist die hohe Priorität für das Handlungsfeld Künstliche Intelligenz: "Man sollte barrierefreie, unparteiische und nutzerfreundliche KI-Technologien zur Erkennung und Kennzeichnung von Desinformation entwickeln." Das ist auch die Erwartung bzw. das Ziel der meisten Expertinnen und Experten.
- In der Online-Umfrage steht an erster Stelle das Handlungsfeld "Medienpraxis und Journalismus" mit Kennzeichnungspflichten und Quellenangaben. Die Teilnehmenden sehen die Problemlösung eher auf der Seite der Anbieter von OnlineMedien
- An zweiter Stelle steht beim Bürgerrat das Handlungsfeld "Bildung und Sensibilisierung", das neben der erwähnten Aktionswoche Maßnahmen zur Förderung von Medienkompetenz in Schulen und für Erwachsene umfasst. In der Online-Umfrage kommt dieses Handlungsfeld nur auf Rang IV. Dieser Unterschied ist deswegen bemerkenswert, weil es hier auch darum geht, was die Befragten sich selbst zutrauen lernen und anwenden zu können. Die vielen Nutzerinnen und Nutzer scheinen sich weniger zuzutrauen als die Mitglieder des Bürgerrats. Das ist ein Punkt für einen Faktencheck.
- Bemerkenswert ist der Unterschied beim Handlungsfeld Soziale Netzwerke" mit verschiedenen Verpflichtungen der Plattformbetreiber. Hier herrscht im Bürgerrat mit Rang V die größte Skepsis, dass die auf EU-Ebene diskutierten und teilweise auch verabschiedeten Verpflichtungen wirksam umgesetzt werden. In der Online-Umfrage zeigt Rang II, dass die Teilnehmenden, die in ihrer Mehrheit diese Plattformen nutzen, ein größeres Vertrauen in die Plattformbetreiber haben. Sonst würden sie diese vermutlich auch nicht nutzen.
- Bei dem mit "Einfluss fremder Staaten" bezeichneten Handlungsfeld geht es in den fünf darunter zusammengefassten Einzelmaßnahmen um die Schaffung einer zentralen Stelle für jedwede Art von Desinformation mit unterschiedlichen Funktionen. Rang III beim Bürgerrat deutet auf ein größeres Vertrauen in eine solche Stelle hin, wie es sie für den Jugendschutz bereits gibt.
Empfehlungen zur Medienkompetenz
In der Rund-Mail wird die Stärkung der Medienkompetenz in der Bevölkerung als wichtiges Anliegen der Bürgerinnen und Bürger, die an diesem Gutachten teilgenommen haben, hervorgehoben. Mit Bezug auf die Schulen ist dies Konsens und mit dem DigitalPakt Bildung sind dafür von Bund und Ländern rund 6,5 Mrd. Euro bereitgestellt worden. Aber wie steht es mit der Empfehlung "Vermittlung von Medienkompetenz für Erwachsene"? Das Ziel ist es, "Medienkompetenz an so viele Erwachsene wie möglich zu vermitteln, um Desinformation vorzubeugen und sich im Alltag sicherer zu bewegen." Dazu sollen folgende freiwillige Maßnahmen beitragen:
- Die Volkshochschulen und Weiterbildungsinstitute sollten (zertifizierte) Kurse zum Thema „Medienkompetenz“ anbieten, beispielsweise in Form eines Grundkurses und eines weiterführenden Kurses.
- Der Grundkurs könnte eine Lehreinheit umfassen und für die Teilnehmenden kostenlos zugänglich sein. Der Grundkurs würde durch den Staat finanziert und vermittelt allgemeine Kenntnisse zur Medienkompetenz fürs Privatleben.
- Der weiterführende Kurs könnte mehrere Unterrichtseinheiten umfassen und über mehrere Tage gehen. Die Teilnehmenden würden hierfür eine Gebühr zahlen und ein Zertifikat nach abschließender Prüfung erhalten. Ziel ist es, detaillierte Kenntnisse zur Medienkompetenz zu erhalten, die den Teilnehmenden gegebenenfalls im Berufsleben weiterhelfen.
- Auf Online-Plattformen sollten Kurse zum Thema „Medienkompetenz" vertrieben werden (z. B. die Zertifikatskurse von Google (Google Career Certificates)).
- Zusätzlich könnten Workshops für Unternehmen, Institutionen, soziale Einrichtungen (z. B. Altenheime, Gemeindehäuser) als Weiterbildungsmaßnahmen angeboten werden.
- Bund, Länder oder Stiftungen sollten für die oben genannten freiwilligen Angebote Marketingmaßnahmen unterstützen, die auf unterschiedlichen Plattformen platziert werden (z. B. TikTok, Instagram, Facebook, Printmedien, TV und Radio).
- Es sollte einen direkten QR-Code/Link zur Website geben, wo man auch direkt Kurse für sich oder seine Firma buchen kann.
Das ist sehr konkret, aber die Realisierbarkeit und Wirksamkeit der Vorschläge sind höchst fragwürdig und sollen daher einem Faktencheck unterzogen werden. Man darf annehmen, dass die Expertinnen und Experten bei Ihrer Beratung berücksichtigt haben, wie der Stand der Medienkompetenz in verschiedenen Altersgruppen der erwachsenen Bevölkerung ist, welche Angebote es dazu bundesweit bereits gibt und was diese bisher bewirkt haben. Das spiegelt sich in den Empfehlungen nicht wider.
Stand der Informationskompetenz
Medienkompetenz umfasst viele Bereiche. Der EU-Kompetenzrahmen DigiCom unterscheidet fünf Bereiche. Für den Umgang mit Desinformation und Fakes einschlägig ist die "Informations- und Datenkompetenz" mit den drei Teilbereichen Informationen und Dateien finden, prüfen und verwalten. Zur Operationalisierung werden vier Kompetenzniveaus von "basic" bis "highly specialized" unterschieden, die mit jeweils zwei Selbsteinschätzungsfragen gemessen werden können. Der jährliche DigitalIndex der Initiative D21 stellt dazu in seinen repräsentativen Umfragen in der Bevölkerung ab 14 Jahre seit 2018 leicht abgewandelte Fragen mit folgenden Ergebnissen:
- Ich kann unseriöse Quellen erkennen (2018/19) 57%
- Ich kann FakeNews erkennen (2020/21) 54 %
- Ich kann unseriöse Nachrichten erkennen (2023/24) 58%
- Ich nutze mehrere Quellen bei Internetrecherchen (2018/19) 61 % und 2020/21 65%
- Ich kann die Richtigkeit von Informationen und Quellen prüfen (2023/24) 51%.
In der erwähnten Umfrage der BertelsmannStiftung sagen
- 57 % sie haben bereits aktiv recherchiert , um herauszufinden, ob eine Nachricht im Internet der Wahrheit entspricht,
- 27 % haben bei Nachrichten, bei denen sie Zweifel hatten, die Absender:innen der Nachricht nach der Quelle und dem Wahrheitsgehalt gefragt,
- 12 % haben das Angebot einer (Fact-Checking-)Organisation zum Aufdecken und Richtigstellen von Falschinformationen genutzt.
Bei diesen Angaben ist zu berücksichtigen, dass Selbsteinschätzungen eine Tendenz zu besseren Werten haben. Daher wurde im Projekt "Digitale Nachrichten und Informationskompetenz der Stiftung Neue Verantwortung, das u.a., von der Bundeszentrale für politische Bildung und mehreren Landesmedienanstalten unterstützt wird, eine Kompetenzmessung anhand von Testaufgaben durchgeführt. (Bericht). Dabei haben im Herbst 2020 4.194 Internetnutzende ab 18 Jahren anhand von Screenshots eine Reihe von Testfragen beantwortet. Im SPIEGELhat eine der Autorinnen zentrale Ergebnisse so zusammengefasst:
- 30 Punkte konnten bei dem Test maximal erreicht werden. Im Durchschnitt kamen die Befragten auf 13,3 Punkte. Nur 22 Prozent erreichen hohe Kompetenzwerte, 46 Prozent liegen im Bereich der (sehr) geringen digitalen Nachrichten- und Informationskompetenz.
- 59 Prozent der Befragten erkannten in mehreren Fragen, ob eine Quelle neutral ist. Fast allen war zudem klar, dass man ein unbekanntes Video nicht ungesehen weiterleiten sollte (7 Prozent würden es tun). 65 Prozent wussten außerdem, dass zum Beispiel der Geschäftsführer eines Flugreiseportals als Autor zum Thema Fliegen keine neutrale Quelle ist. Nur die Hälfte aber konnte dabei auch den konkreten Interessenkonflikt benennen.
- Eine Falschinformation auf Facebook über einen Beschluss der Regierung zur Enteignung der Bevölkerung erkannten 59 Prozent als solche, 15 Prozent hielten dies für Information, 12 für Meinung, 13 Prozent waren sich nicht sicher.
- Eine fiktive Falschinformation über abgesagte Operationen während des Shutdowns erkannten 43 Prozent, 33 Prozent hielten dies für Information, 13 für Meinung.
- Kennzeichnungen von Social-Media-Plattformen zu Desinformationen sind dabei kaum wirksam: Maximal ein Viertel der Befragten konnte Markierungen von Facebook, Twitter oder YouTube richtig einordnen. Mehr als ein Viertel (27 Prozent) wiederum hielt die Anzahl der Likes und Kommentare für einen hilfreichen Hinweis auf die Vertrauenswürdigkeit einer Nachricht.
Den Test können Sie hier selbst machen.
Diese Daten deuten auf einen eher geringen Stand der Informationskompetenz hin und sprechen für Maßnahmen zu deren Verbesserung. Allerdings sollten dabei auch die Gründe für diesen geringen Stand reflektiert werden. Als erstes bietet sich dazu eine Differenzierung dieser Daten nach Alter, Geschlecht und Bildung an. Besonders relevant für die Einschätzung der Erfolgsaussichten von Maßnahmen im Bereich Medienkompetenz sind Bildungsunterschiede. Der DigitalIndex hat diesbezüglich in einer Sonderauswertung zur Digital Skill Gap deutliche Unterschiede festgestellt (Abbildung 1).
Abb.1: Informationskompetenz in Abhängigkeit vom formalen Bildungsstand (Quelle Initiative D21: Digital Skill Gap)
Diese bildungsbedingten Unterschiede bei der Informationskompetenz entsprechen dem allgemeinen Bildungsgefälle in der Bevölkerung, das seit Jahrzehnten nicht verringert werden konnte. Das dürfte auch bei Maßnahmen zur Verbesserung der Medienkompetenz der Fall sein.
Organisation und Finanzierung geeigneter Angebote
- Volkshochschulen erzielen nicht die erwartete Breitenwirkung. Sie bieten bereits solche Kurse an, die jedoch nur von einigen Hunderttausend Personen besucht werden. Das ergibt sich aus der VHS-Statistik für das Jahr 2022. Von 733 Tausend Belegungen entfallen 93% auf Sprachkurse und nur 0,02% auf Kurse im Fachgebiet Kultur/Gestalten, wo Medienkompetenz nur einen geringen Anteil einnimmt.
- Für die 18,6 Mio. ältere Menschen über 65 Jahre (Stand 2022) kommen VHS-Kurse und andere Angebote institutionalisierter formaler Weiterbildung nach einhelliger Fachmeinung nur sehr bedingt in Frage. Unter anderem die Kommission für den achten Altersbericht und der Fachbeirat Digitalisierung und Bildung für ältere Menschen beim Bundesfamilienministerium halten informelle wohnungsnahe Angebote in Form von Übungsgruppen und Coaching für effektiver. In Begegnungsstätten, kirchlichen Einrichtungen, Vereinen und Initiativen geben überwiegend Ehrenamtliche ihre eigenen digitalen Kompetenzen weiter. Daher stellt sich die Frage, ob diese Mittler selbst über ausreichende Kenntnisse verfügen, um auch zu erklären, was Fakes sind, wo die Gefahren liegen und wie man sie erkennen kann.
- Auf jeden Fall gibt es zu wenige Angebote dieser Art. Die Bundesregierung fördert mit dem DigitalPakt Alter hat in den letzten drei Jahre gerade einmal 250 Angebote gefördert und das und auch nur für drei Monate. Einige Bundesländer haben ähnliche geringfügige Förderungen getätigt. Niemand weiß, wieviel Angebote es von Vereinen und Initiativen gibt. Daher ist sowohl die Erwartung an entsprechende staatliche Förderung als auch der Vorschlag einer Plattform, auf der man Angebote zu Fakes findet, unrealistisch. Es gibt noch nicht einmal auf der Ebene der Bundesländer eine zentrale Information über alle Angebote zu Digitalen Kompetenzen oder Medienkompetenz.
- Vor allem aber wird nicht bedacht, dass solche Angebote selbst noch keine Wirkung im Sinne der Verbesserung von Kompetenzen haben. Sie müssen nicht nur wahrgenommen werden. In der Regel führen sie nur bei einem Teil der Teilnehmenden zu einem dauerhaften Lernerfolg. In einer Evaluation von 150 der im Rahmen des DigitalPakt Alter geförderten Erfahrungsorte haben von 127 Helfenden zum Lernziel "Seriöse von unseriösen Nachrichten im Internet unterscheiden" nur 25 gesagt, dass dies nach der Teilnahme an einer Übungsgruppe alle können, 63 dass es die Hälfte der Teilnehmenden kann und 39 dass es weniger als die Hälfte kann (Evaluationsbericht 2023,S. 68)
Gutachten oder unreflektiertes Meinungsbild?
Nach meiner Auffassung kann bei dem vorliegenden Bericht nicht von einem (Bürger)Gutachten gesprochen werden.
In einem Gutachten darf man Aussagen erwarten, die auf einer höheren Sachkenntnis beruhen, als sie allgemein zu finden ist, um bestimmte Annahmen zu bestätigen. In dem Bürgergutachten betonen die Verfasser der BertelsmannStiftung, in der Online-Umfrage hätten die Teilnehmenden ihr "Alltagswissen" eingebracht. Dieses Alltagswissen ist nach den geschilderten Fakten jedoch in Bezug auf das das Erkennen von Desinformation gering und in Bezug auf geeignete Maßnahmen zum Vermeiden noch geringer, weil sie damit keine Erfahrungen haben. Bürgergutachten haben nur dann einen Erkenntniswert und eine politische Bedeutung zur Untermauerung von Forderungen , wenn sie sich auf ein Thema beziehen, zu dem eigene Erfahrungen der Bürgerinnen und Bürger vorliegen. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn gefragt würde, welche Maßnahme die Befragten selbst ergriffen haben, oder wie einfach die Nutzung bestimmter Tools. Bei Zustimmungen, was andere tun sollen, handelt es sich lediglich um eine Meinungsäußerung.
Von einem Gutachten darf man zweitens erwarten, dass es die verwendete Methode kritisch reflektiert und die Grenzen der Aussagekraft benennt. Dazu gibt es keinen einzigen Satz, sondern nur uneingeschränktes Eigenlob für einen weltweit einzigartigen Ansatz mit der Kombination der beiden Methoden. Auch werden im Fazit und Ausblick hohe Erwartungen an die politische Wirkung des "Gutachtens" geweckt:
"Dass das BMI die Empfehlungen u. a. für die Erarbeitung einer neuen Strategie der Bundesregierung zum Umgang mit Desinformation nutzen wird, ist ein erster wichtiger Schritt. Akteure aus dem Bildungsbereich, aus Technologie- Unternehmen und von Plattformanbietern, Medien, Zivilgesellschaft und Politik wurden bereits frühzeitig in das Projekt einbezogen. Mit ihnen plant das BMI weitere Veranstaltungen zum Umgang mit den Empfehlungen. Ein Monitoring-Instrument, das den Nachfolgeprozess und die Fortschritte dokumentiert und transparent macht, ist in Arbeit."</p>
Wie kann man sicher sein, was die Bundesregierung bei einem Thema tun "wird"? Die Bundesregierung besteht bekanntlich aus drei Parteien, die auch zu den hier vorgeschlagenen Maßnahmen unterschiedliche Auffassungen haben. Verpflichtungen der Plattformbetreiber können nur auf EU-Ebene verbindlich verabschiedet werden, für Bildung sind die Länder zuständig, für konkrete Angebote auch die Kommunen. Es werden also unerfüllbare Erwartungen geweckt. Teilweise wird auch dies in der Literatur als Desinformation verstanden, allerdings nur wenn eine irreführende oder manipulative Absicht damit verbunden ist. Das ist hier selbstverständlich nicht der Fall. Es ist eher ein Fall von Selbstüberschätzung und mangelnder Fähigkeit zur Reflektion. Daher handelt es sich um ein unreflektiertes Meinungsbild.
Ein KI-generiertes Gutachten bringt einen ähnlichem Überblick für einen Bruchteil der Kosten
Wenn es um ein Meinungsbild zu einem Thema geht, das schon länger in den Medien, in Wissenschaft und Politik diskutiert wird, kann man neuerdings mit Hilfe von KI in wenigen Minuten eine Zusammenfassung aus Milliarden von Dokumenten im Internet generieren lassen. Das habe ich getan und CHAT GPT sowie CHAT & ASK AI mit jeweils zwei unterschiedlich komplexen Fragen um ein Gutachten zu Maßnahmen gegen Desinformation und Fakes gebeten. In der komplexeren Version habe ich auch nach der Wirksamkeit und den Kosten gefragt. Das Ergebnis von Chat GPT zur Medienkompetenz:
Abb.2: Auszug aus CHAT GPT Text zu Medienkompetenz als Maßnahme gegen Desinformation
Die insgesamt vier KI-"Gutachten" sind in einem kurzen Bericht zusammengefasst, der als pdf geöffnet und heruntergeladen werden kann. Man sieht eine hohe Überschneidung in der Nennung der Maßnahmen. Aufschlussreich sind die Aussagen zu den Wirkungen und die (unterschiedliche) Schätzung der Kosten. Die Zustimmung in Prozentpunkten fehlt hingegen. Aber man sollte sich fragen, welchen Aussagewert diese haben, da sie ohnehin zwischen Bürgerrat und Online-Umfrage so stark differieren. Am besten machen Sie selbst den Vergleich und schauen in das Bürgergutachten und den Kurzbericht zu den KI-generierten Texten., In dem Bericht findet sich auch eine Antwort auf die Frage nach geeigneten Tools, um Desinformation und Fakes zu erkennen. Dazu mehr in einem zweiten Teil.
Die Bremer Landesmedienanstalt und Radio Bremen klären in einem Video auf, wie man Fakenews erkennt und die Brema bietet immer wieder Kurse auch speziell für Seniorinnen und Senioren zu diesem Thema an (Bericht im WK vom 18. Oktober)