Was man beim Fernsehen (nicht) lernen kann: Die Brille, die eine Speisekarte vorliest
Vielleicht wissen Sie das schon. Für mich war es neu, als in der letzten Folge der Fernsehserie "Blind ermittelt", der blinde Kommissar auf der Terrasse eines Restaurants zur Speisekarte greift und über seine Auswahl mit seinem Partner spricht. Wenn man bei Google eingibt "Brille, die Speisekarten vorliest" wird die orcam als Treffer angezeigt. Sie gibt es bereits seit 2016 in seitdem mehrfach verbesserten Versionen. Sie basiert auf einer Bilderkennungssoftware, die aus Bildern Texte erkennen und vorlesen kann, neben Speisekarten oder Geldscheinen angeblich auch Zeitungsartikel, Verpackungen, Fahrpläne, Straßenschilder und anderes mehr. Inzwischen werden neben Texten auch andere "Muster", wie Geldscheine oder die Gesichter zuvor gespeicherter Personen erkannt.
Wenn das stimmt, wäre dies eine wesentliche Erweiterung der Bewegungsmöglichkeiten von rund 1,2 Millionen blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland.
Nun muss ja nicht alles zutreffen, was Hersteller über ihre Produkte auf ihren Web-Seiten schreiben. In diesem Fall scheint dies aber der Fall zu sein. So bestätigt der Blinden- und Sehbehindertenverband in der Steiermark, Österreich, die Angaben und lobt die Brille als "Revolution". Das AMD-Netz, das sich an Menschen mit Makula-Degeneration wendet, berichtet von einem positiven Eindruck bei einer Vorführung.
Auch der Hinweis des Herstellers, dass bei ärztlicher Verschreibung die Kosten (je nach Modell 3.000 bis 5.000 Euro) von den Krankenkassen übernommen werden, ist korrekt. Die angegebene Hilfsmittelnummer 07.99.04.6002 im GKV-Hilfsmittelverzeichnis führt zu einer sachlichen Funktionsbeschreibung, wie überprüft worden ist
Eine KI-App als Alternative ?
Aus technischer Sicht ist interessant, dass es sich bei dieser Entwicklung aus Israel um ein Nebenprodukt von Entwicklungen der Bilderkennung für autonomes Fahren handelt. Daher ist anzunehmen, dass auch andere auf ähnliche Ideen gekommen sind und dass es Alternativen gibt. Die nennt das AMD Netzwerk auch, und zwar Apps für Smartphones. So hat die Zeitschrift Chip schon 2019 die Microsoft App seeing ai getestet (ai für artificial intelligence, zumeist übersetzt mit Künstlicher Intelligenz). Man kann diese App unentgeltlich aus dem AppStore oder PlayStore herunterladen. Das habe ich getan und sie auf meinem iPhone installiert. Wenn ich das iPhone still halte, liest es perfekt vor. Man muss nur die vorzulesende Fläche genau treffen, denn das Smartphone fängt sofort an vorzulesen, wenn es irgendwo Texte wahrnimmt. Damit kommt es zum Erkennen von Schildern oder anderen Texten in der Umgebung nicht in Frage. Und sonderlich intelligent ist das auch nicht. Denn Intelligenz bedeutet auch Selektion.
Vergleich:Kosten und Gebrauchstauglichkeit
Die Brille ist auch nicht viel intelligenter. Sie plappert zwar nicht los, wenn sie Texte sieht, sondern beginnt nur, wenn man mit dem Finger auf eine Stelle zeigt, reagiert also bewegungsabhängig. Wenn es um Situationen wie das Lesen einer Speisekarte geht, sollte man das Preis-Leistungsverhältnis abwägen. Dann besteht der Unterschied darin, dass die unentgeltliche App für alle hörbar vorliest, die 3.000 Euro teure Kamera einem erkannte Texte für die Umgebung unbemerkt ins Ohr flüstert . Wenn es um die Umgebung, zum Beispiel Straßenschilder oder auch nur um die Zeitung geht, wird es mit dem Zeigen mit dem Finger schwierig, und man müsste erst erkennen, worauf man zeigen will, ohne sehen zu können. Auf solche Frage nach der Gebrauchstauglichkeit in verschiedenen Situationen bin ich beim Fernsehen nicht gekommen und nun von der sogenannten Künstlichen Intelligenz auch nicht mehr so überzeugt. (CIA steht auch nicht für Zentrale Intelligenz Agentur). Aber vielleicht sehen Sie das anders. Dann würde ich mich über Ihren Kommentar freuen.
Bildquelle: Zitat von https://www.fernsehserien.de/der-wien-krimi-blind-ermittelt/folgen/07-die-nackte-kaiserin
AnsehenBBS antwortet: Sowohl diese Brille als auch ein Smartphone brauchen eine gewisse Übung und technisches Grundverständnis. Unserer Meinung nach gibt es da (auch für spät Erblindete) keine wesentlichen Unterschiede in der Bedienung, die die Brille leichter bedienbar machen würden… https://twitter.com/MeinAugenlicht/status/1525114149226876929
auf Twitter schreibt jemand vom DBSV zu dem geposteten Beitrag: .".. nichts, was das iPhone nicht auch können würde. Und die Preisunterschiede sind doch erheblich, auch wenn die Krankenkassen übernehmen, (wie viel Eigenanteil?), letztendlich bezahlt die Solidargemeinschaft für ein Gerät, was dann letztendlich vielleicht nicht genutzt würde."
https://twitter.com/bremen_lbb/status/1524289783731822592
Vielen Dank für den Hinweis auf die App. Mit Kopfhörer können blinde Menschen damit auch Bücher in Bibliotheken lesen.
Eine Speisekarte lesen ist ja nur ein Aspekt. Wie im Artikel anklingt, gibt es weitere Anwendungsfälle, wie Schilder oder digitale Anzeigen lesen und Produkte erkennen. Für Späterblindete wohl oft leichter zu bedienen, als ein Smartphone. Irgendwelche Meinungen oder Erfahrungen? Tweet des DBSV Jugendclub https://twitter.com/DBSV_Jugendclub/status/1525113560858337280