Ein „ADAC"* für Digitale Teilhabe Teil 1: Ein besseres Geschäftsmodell ?
Teil 1: Gescheiterte Versuche der Infrastrukturbildung und ein Traum
Am vergangenen Montag haben BAGSO und BIBB ein hybrides Expertentreffen zur „Professionalisierung des Bildungspersonals für die Digitale Bildung Älterer in Deutschland und Europa“ organisiert. Ich hatte Zweifel, ob die geringe Digitale Teilhabe Älterer in erster Linie ein Bildungsproblem ist und die erforderlichen unterschiedlichen Unterstützungsleistungen von „Bildungspersonal“ erbracht werden, das es zu professionalisieren gilt. Ich habe dann doch online teilgenommen und kann nach langer Zeit in diesem Blog etwas Positives berichten. Zu Deutschland gab es zwar nichts Neues, aber die Berichte aus Österreich und den Niederlanden haben einen Weg gezeigt, wie ein von mir schon lange kritisierter Mangel in der Unterstützungslandschaft behoben werden kann. Der Link unten führt zu dem Programm und den einzelnen Beiträgen.
Fehlende Infrastruktur für immer wieder auftretende Probleme
Die Angebote zur Befähigung Älterer zu Digitaler Teilhabe sind nicht nur viel zu wenige, sondern auch nicht nachhaltig. Wie die Evaluation der 150 Erfahrungsorte des DigitalPakt Alter beispielhaft für die gesamte Landschaft gezeigt hat, arbeiten die anbietenden Organisationen überwiegend mit unbezahlten Ehrenamtlichen unter finanziell unsicheren Bedingungen, wissen oft nicht, wer ähnliche Angebote in der Kommune macht, werben Ehrenamtliche unabhängig voneinander und bereiten sie mehr oder weniger gründlich auf die Unterstützungstätigkeit vor. Viele erstellen jeweils eigene Unterlagen für die Teilnehmenden – eine Verschwendung von Ressourcen und keine Transparenz für die Älteren, die Unterstützung suchen.
Wenn man das Problem anspricht, wird stets eine Vernetzung empfohlen. Aber sich treffen und austauschen löst das Problem der kollektiven Ineffizienz nicht und schafft noch keine Strukturen. Doch genau diese sind erforderlich, weil nach der Bremer Umfrage auch rund die Hälfte der Onliner einen Unterstützungsbedarf bei immer wieder auftretenden Problemen hat. Nach der Typisierung im Digitalindex sind dies die „Minimal-OnlinerInnen“ und „Konservativen GelegenheitsnutzerInnen“. Zur Deckung dieses Unterstützungsbedarfs spricht die Bertelsmann Stiftung von „Assistenzinfrastrukturen“ auf der kommunalen Ebene, der Fachbeirat Digitalisierung und Bildung beim BMFSJ von einer "ermöglichenden Infrastruktur der kommunalen Daseinsvorsorge." In der Bremer Umfrage wurde der Unterstützungsbedarf sowohl bei technischen Problemen als auch bei inhaltlichen Problemen mit verschiedenen Anwendungen je nach der individuellen Lage in Form von Sprechstunden, einer telefonischen Hotline und am häufigsten durch Hausbesuche gewünscht.
Mehrere Versuche, solche Strukturen auf kommunaler Ebene nachhaltig zu etablieren, sind bisher gescheitert. Auf der Veranstaltung habe ich ein Erfolg versprechendes Beispiel kennengelernt, das die kommunale mit der Landesebene verbindet.
Netzwerk Digitalambulanzen
Wie das Projekt QuartiersNetz in Gelsenkirchen und das Projekt DigiQuartier im Kreis Recklinghausen ist auch das von mir initiierte Netzwerk Digitalambulanzen in Bremen und Bremerhaven nach Ende der Projektförderung nicht in vollem Umfang fortgeführt worden und hat bis heute noch nicht zu der erhofften Strukturbildung geführt. In Bremen und Bremerhaven war es gelungen, zunächst 17 Einrichtungen wie Seniorentreffs von Wohlfahrtsverbänden, Bürgerhäuser, die beiden Stadtbibliotheken und Volkshochschulen sowie verschiedene Vereine im Rahmen einer Förderung des BMI zu einem Netzwerk zusammenzuführen, das jeweils von einer Koordinationsstelle betreut wurde.
Die Koordinationsstellen konnten bis zum Ende der Förderung im Dezember 2022 die Anzahl der Netzwerkpartner mehr als verdoppeln. Es ist jedoch nicht gelungen, eine auch nur annähernd vollständige und stets aktuelle Übersicht über deren Angebote auf der Plattform zu schaffen, um die Suche für interessierte Seniorinnen und Senioren zu erleichtern. Gemeinsame Unterlagen für Unterstützungskräfte und Teilnehmende wurden nicht erstellt und es ist nur zu einer einzigen Schulung für Helfende und mehrere Stammtische zu aktuellen Themen bei der VHS gekommen. Werbung und Vermittlung von Ehrenamtlichen wurden erst gar nicht versucht. Mit dem Auslaufen der Bundesförderung wurde die Koordinationsstelle in Bremen nicht fortgeführt und die Homepage verharrt weitestgehend auf dem Stand von November 2022 und soll bald vom Netz genommen werden(ausführlicher zu den Aktivitäten innerhalb des Förderzeitraums Kubicek 2022, S, 78 ff.). Zu Beginn dieses Jahres wurde der Freie Träger “Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. (VskA e.V.) – Landesverband Bremen mit einem niedrigen fünfstelligen Betrag befristeten beauftragt, einen Teil der Koordinationsaufgaben fortzuführen und eine neue Homepage außerhalb des Behördennetzes zu entwickeln und zu betreiben. Eine Werbung, Qualifizierung und Vermittlung von ehrenamtlichen Unterstützungskräften an die Netzwerkpartner gehört nicht zu den Aufgaben in diesem aktuellen Rahmen. Dass die Koordinationsstelle nicht in der Verwaltung fortgeführt wird, muss kein Fehler sein. Auch sind die Sicherheitsregeln in einem Behördennetz für die Redaktion einer lebendigen Homepage mit Beiträgen der Netzwerkpartner nicht förderlich. Dass nun ein Freier Träger mit der Koordination des Netzwerks sowie Aufbau und Pflege einer Homepage beauftragt wurde, geht somit in die richtige Richtung. Aber entscheidend ist die dauerhafte Finanzierung der Koordinationsaufgaben, deren Notwendigkeit von Anfang an bekannt war. Wenn die Regeneration der Homepage in einigen Wochen abgeschlossen ist, wird sie in einem Blog-Beitrag hier vorgestellt.
Agentur für Digitalassistenz
Schon während der Förderphase bot sich im Rahmen eines Smart City Antrags der Stadt Bremen die Gelegenheit, eine Förderung für die Werbung, Qualifizierung und Vermittlung von Unterstützungskräften ein anderes Modell zu beantragen. In Bremen wird die Altenhilfe von 16 auf die Stadtteile verteilten Dienstleistungszentren erbracht, die arbeitsteilig von vier Wohlfahrtsverbänden betrieben werden und die neben Beratung vor Ort auch Nachbarschaftshilfe durch Ehrenamtliche vermitteln, die bei registrierten Kundinnen und Kunden bei Bedarf im Haushalt helfen, diese zu Ärzten oder Ämtern begleiten oder auch nur Zeit mit ihnen verbringen. Dafür erhalten sie direkt eine Aufwandsentschädigung von 8,50 Euro pro Stunde.
In einem Pilotprojekt wurde diesen Kundinnen und Kunden zusätzlich eine unentgeltliche Digitalassistenz von extra dafür ausgewählten Helfenden mit einem Leih-Tablet für acht Wochen angeboten und gut angenommen. 13 von 12 teilnehmenden älteren Menschen waren sehr zufrieden und wollten weitermachen, ein Teil konnte sich jedoch die dann fällige Aufwandsentschädigung von 8,50 Euro nicht leisten.
Die Leitungen der Dienstleistungszentren in den vier Wohlfahrtsverbänden waren skeptisch, ob sich die Aufnahme von Digitalassistenz in das Leistungsprogramm der organisierten Nachbarschaftshilfe rentieren würde, weil anders als bei den hauswirtschaftlichen Leistungen eine umfassendere Schulung und ständige Fortbildung der Ehrenamtlichen notwendig ist, andere Anforderungen an den Einsatz zu stellen und Haftungsfragen zu klären sind. Zwei waren jedoch bereit, im Rahmen des Smart City Antrags zunächst an einer Machbarkeitsstudie und anschließend einer Pilotphase mitzuwirken und bei einem positiven Ergebnis eine entsprechende gemeinsame Organisation zu gründen. Dazu wurde eine umfangreiche Frageliste zu Art und Umfang des Bedarf an unterschiedlichen Formen der Unterstützung und zum Personalbedarf für Rekrutierung, Qualifizierung, Vermittlung und Begleitung von Helfenden erarbeitet. Zur Prüfung der Machbarkeit ist es leider nicht gekommen, weil der gesamte Smart City Antrag nicht erfolgreich war und das Sozialressort, das die Dienstleistungszentren fördert, nicht bereit war, Mittel für eine Machbarkeitsstudie bereitzustellen.
Modellrechnungen hatten ergeben, dass bei einer Aufwandsentschädigung von 8,50 Euro für die Ehrenamtlichen und einem Preis von 12,00 Euro pro Stunde für die Unterstützten, also einem Deckungsbeitrag von 3,50 pro Stunde bei 500 bis 1.000 Kundinnen und Kunden keine Deckung der Kosten für zwei Stellen im Umfang von 30 Stunden/Woche erreicht werden kann, alle anderen Kosten nicht berücksichtigt.
Der Traum vom Automobilclub
Auf dem eingangs erwähnten Expertentreffen berichte Edith Simöl vom Österreichischen Institut für Angewandte Telekommunikation (ÖIAT) über die Qualifizierungsangebote der Servicestelle digitale Senior:innen für Trainerinnen und Trainer, die in der digitalen Seniorinnen- und Seniorenbildung tätig sind und über die immer differenzierter werdenden Materialen (Präsentation über den Link unten). Die Leistungen sind ähnlich wie in einigen Bundesländern in Deutschland: Es werden Leitfäden und Materialien für ehrenamtlich tätige Unterstützungskräfte und allen anderen Personengruppen in der digitalen Senior:innenbildung erstellt und Train-the-trainer-Kurse und Webinare angeboten. Selbstkritisch wies sie darauf hin, dass so das Ziel möglichst viele ältere Menschen dauerhaft zur Internetnutzung zu befähigen, nur bedingt erreicht werde. Nach dem Besuch von Kursen und Übungsgruppen wird die Nutzung bei vielen Seniorinnen und Senioren immer wieder unterbrochen, weil sie ein unerwartet auftretendes Problem selbst nicht lösen können. Für diese Fälle wünsche sie sich, dass es so etwas wie einen Automobilclub für die Internetnutzung gebe, der dann seinen Mitgliedern hilft. Sie bezeichnete dies als einen Traum.
Der darauf folgende Beitrag von Elisabeth Weinberger zeigte dann, dass dieser Traum in den Niederlanden schon lange Wirklichkeit ist. Von diesem Beispiel und was wir daraus lernen können handelt der zweite Teil in der kommenden Woche.
* Allgemeiner Digital-Assistenz-Club
Tagungsprogramm und Beiträge