Digitale Teilhabe 65 plus

Beobachtungen, Gedanken, Fragen und Tipps
zur Überwindung der Alterslücke bei der Nutzung von digitalen Medien

Portrait: Herbert Kubicek
Prof. Dr. Herbert Kubicek
Jahrgang 1946
Über mich
Thema heute:

Digitale Daseinsvorsorge als Rahmen für Digitale Teilhabe

Gibt es einen Anspruch auf Unterstützung bei der Digitalen Teilhabe?

Digitale Teilhabe älterer Menschen braucht je nach den körperlichen, geistigen und finanziellen Ressourcen unterschiedliche bedarfsgerechte Unterstützung beim Zugang zum Internet und der Nutzung von Anwendungen, die für ein selbständiges Leben förderlich sind. Diese Unterstützung reicht von der einmaligen Kostenübernahme für ein Smartphone oder Tablet und die Kosten für einen entsprechenden Kurs über die Bereitstellung von Sprechstunden oder Hausbesuchen bei einzelnen auftretenden Problemen bis zu einer ständigen Betreuung oder Assistenzleistung für Menschen in der ambulanten oder stationären Pflege oder Eingliederungshilfe. Der Bedarf ist größer als viele annehmen. In der Bremer Umfrage haben 50 Prozent der älteren Onliner einen gelegentlichen Unterstützungsbedarf in Form von Sprechstunden, Hausbesuchen oder einer telefonischen Hotline geäußert.

Die Bereitstellung einer umfassenden, flächendeckenden und bedarfsgerechten Unterstützungsinfrastruktur ist mit Kosten verbunden. In meinem Buch argumentiere ich, dass dies in Bezug auf ältere Menschen eine Aufgabe der kommunalen Altenhilfe im Rahmen der allgemeinen Daseinsvorsorge ist. Der Begriff der "Digitalen Daseinsvorsorge" wird in Literatur und Politik allerdings überwiegend anders definiert. Und die Frage, ob ältere Menschen einen Anspruch auf passende Angebote zur Unterstützung ihrer individuellen Digitalen Teilhabe haben, vergleichbar mit einem bedarfsgerechtem öffentlichen Personennahverkehr oder gesundheitlicher Versorgung, wird von Juristen noch zurückhaltend beantwortet.

Was ist "Daseinsvorsorge"?

In einer juristischen Expertise »Daseinsvorsorge und Digitale Teilhabe sichern« im Smart-City-Kontext beschreiben Ringwald u. a. die Grundlagen wie folgt:

"Daseinsvorsorge beruht auf dem Gedanken, dass die Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, um dem Einzelnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen und seine Grundrechte zu verwirklichen. Adressat ist damit der Einzelne, der grundsätzlich zur selbstständigen Lebensführung in der Lage ist, aber einzelne Bedürfnisse weder eigenhändig noch am Markt befriedigen kann. Wer sich die im Rahmen der Daseinsvorsorge angebotenen Leistungen nicht leisten kann, erhält Unterstützung in Form von Sozialleistungen, wodurch die Unterschiede im Zugang zu Dienstleistungen ausgeglichen werden sollen. " (BBSR 2019, S. 6).

Welche Leistungen im Einzelnen der Daseinsvorsorge zugeordnet werden, ändert sich mit den gesellschaftlichen Bedingungen. Historisch waren Müllabfuhr und Abfallbeseitigung die ersten öffentlich finanzierten Aufgaben als die Städte wuchsen und es um allgemeine Hygiene zur gesundheitlichen Vorsorge ging. Dann kamen Gas-, Wasser- und Stromversorgung aus ökonomischen Gründen hinzu, um mehrere parallele Leitungen zu vermeiden. Mit dem Öffentlichen Personennahverkehr, Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern wurden die öffentlichen Leistungen weiter ausgebaut.

Bedeutete Daseinsvorsorge zunächst, dass der Staat bzw. die Kommune die entsprechenden Leistungen selbst erbringt, wird darunter heute eine Gewährleistungspflich verstanden, Der Staat bzw. die Kommune hat die Erbringung der Leistungen der Daseinsvorsorge zu gleichen Bedingungen für alle zu organisieren und ggfs. auch zu finanzieren. Die aktuelle Frage ist, ob sich im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung der Leistungskatalog erweitern soll, um welche Leistungen es sich konkret handeln soll, wer sie erbringen und wer sie finanzieren soll.

Zwei Bedeutungen von »Digitale Daseinsvorsorge«

Der Begriff »Digitale Daseinsvorsorge« wird in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet:

Zum einen geht es um die weitere Digitalisierung der bisherigen Bereiche der Daseinsvorsorge. Es ist weitgehend Konsens, dass Staat und Kommunen für die Bereiche der Daseinsvorsorge in ihrer Zuständigkeit aufgefordert sind, diese zu digitalisieren, also insbesondere die öffentliche Verwaltung, das Bildungs- und das Gesundheitswesen und die Infrastrukturen. Dies gilt sowohl gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern bzw. Kundinnen und Kunden, die moderne und gleichwertige Dienstleistungen in urbanen wie in ländlichen Räumen erwarten, als auch in Bezug auf die internen Prozesse und die Kooperation und Koordination der Leistungsträger untereinander.

Zum anderen geht es um die Frage, ob Zugang oder Digitale Teilhabe Teil der allgemeinen Daseinsvorsorge werden sollen, so wie der Anspruch auf Energieversorgung oder Schulbildung für Kinder. Insbesondere wird diskutiert, ob über einen Breitbandanschluss hinaus ein Anspruch auf die Befähigung zu Digitaler Teilhabe besteht, was er konkret umfassen soll und zu welchen Bedingungen er durch wen zu erfüllen ist.

Gesetzlich geförderte Digitalisierung

Digitalisierung ist schon länger keine Angelegenheit der Unternehmen und der Wirtschaft alleine. Sie wird mit staatlicher Unterstützung in allen klassischen Bereichen der Öffentlichen Verwaltung und auch der Daseinsvorsorge vorangetrieben. Für die jeweiligen Oppositionsparteien geht es in der Regel zu langsam, auch wenn sie selbst zuvor an einer Regierung beteiligt waren. Kritisiert wird, dass Deutschland in vielen Bereichen im internationalen Vergleich weit zurückliege. "Digitale Daseinsvorsorge" meint in diesem Kontext die Digitalisierung der entsprechenden Leistungsbereiche im allgemeinen Interesse. Und es wird diskutiert, ob es einen Anspruch auf digitale Leistungen gibt. In der obigen Abbildung sind die weitgehend unstrittigen Bereiche der Daseinsvorsorge den Bezeichnungen für deren digitale Leistungen gegenübergestellt.

Einen individuellen Anspruch auf digitale Leistungen gibt es in keinem Bereich. Aber es gibt verschiedene gesetzliche Regelungen zur Ausweitung digitaler Angebote. Beispiele sind das Online-Zugangs-Gesetz (OZG) für über 900 Verwaltungsleistungen und im Gesundheitsbereich das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) sowie das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz« (DVPMG). Der Bundesgesetzgeber verpflichtet die Kranken- und Pflegekassen, die Kosten für die Inanspruchnahme bestimmter digitaler Leistungen zu erstatten. Dabei wird zunächst nicht gefragt, wieweit die jeweilige Zielgruppe in der Lage ist, diese Leistungen auch in Anspruch nehmen zu können. Diese Frage hat sich bei den bisherigen Leistungen der Daseinsvorsorge, wenn überhaupt, nur in Bezug auf die finanzielle Erschwinglichkeit gestellt und wurde mit Subventionen beantwortet. Das reicht für die Digitale Teilhabe älterer menschen nicht .

Digitale Teilhabe als Teil der allgemeinen Daseinsvorsorge

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und inwiefern Digitale Teilhabe bzw. Zugang zum Internet und die Vermittlung von digitalen Kompetenzen bereits als neue Bereiche der Daseinsvorsorge betrachtet werden und ob es schon entsprechende Anspruchsgrundlagen gibt. Die verblüffende Antwort ist: Der Diskussionstand war vor fünf Jahren weiter als heute. Im Raumordnungsbericht aus dem Jahr 2017 mit dem Titel »Daseinsvorsorge sichern« erklärt die damalige Bundesregierung nicht nur einen Breitbandanschluss zu einem Teil der Daseinsvorsorge:

»Neben der Verfügbarkeit einer angemessenen Basisinfrastruktur (leistungsfähiges Breitband) zählen hierzu die Verbreitung geeigneter Endgeräte bei den Zielgruppen und vor allem eine entsprechende Einstellung zu neuen digitalen Leistungen sowie eine angemessene Kompetenz der Nutzerinnen und Nutzer« (BBSR 2017, S, 122)

Im Folgebericht war davon keine Rede mehr. Zwar werden digitale Kompetenzen teilweise als so fundamental für die gesellschaftliche Teilhabe angesehen wie Lesen und Schreiben, und sie sind inzwischen offizielle Lernziele in der schulischen Bildung. Dort rechtfertigt ihre Vermittlung den mit Milliarden ausgestatteten DigitalPakt Schule. Für die älteren Menschen allerdings, zu deren Schulzeit es noch kein Internet gab, wird dieser Bedarf zwar von der Bundesregierung gesehen, aber es wird noch nicht angemessen darauf regiert.

Forderungen der Sachverständigenkommission für den Achten Altersbericht

Der alle vier Jahre zu erstellende Altersbericht der Bundesregierung war 2020 dem Thema "Ältere Menschen und Digitalisierung" gewidmet. Darin wird Digitalisierung nicht nur auf die Nutzung des Internet als Informations- und Kommunikationsmedium begrenzt, sondern ausführlich auf die digitalen Hilfsmittel in den Bereichen Gesundheit und Pflege sowie Wohnen eingegangen, die große Chancen für gesellschaftliche Teilhabe und einen längeren Verbleib in der eigenen Häuslichkeit. eröffnen. Die bisherigen Unterstützungsangebote, die viele ältere Menschen für die Nutzung dieser Möglichkeiten benötigen, werden zwar als soziales Engagement von Verbänden und Vereinen und den vielen Ehrenamtlichen ausdrücklich gewürdigt, aber insgesamt und auf Dauer als unzureichend angesehen. Die Angebote haben nur einen "kleinen Wirkungskreis". Die Kommission bezeichnet "die Landschaft dieser Angebote insgesamt heterogen, unübersichtlich und instabil" und kritisiert, dass sich diese Angebote zumeist auf die Bedienung von Geräten konzentrieren und Orientierungs- und Gestaltungskompetenzen zu kurz kommen.

In den 12 Empfehlungen werden Bundesregierung und auch Landesregierungen aufgefordert, sicherzustellen, dass in allen Wohnformen älterer Menschen Internetzugänge bereitstehen und genutzt werden können. "Für ältere Menschen, die ein geringes Einkommen haben oder Grundsicherung im Alter erhalten, sollte die Nutzung des Internets Zuhause und ebenfalls die Anschaffung von digitaler Technik, die zur Erhaltung beziehungsweise Ermöglichung von Autonomie und Teilhabe beiträgt, über sozialrechtliche Hilfe im SGB XII gefördert werden."

Um eine selbstbestimmte Nutzung zu ermöglichen soll die Förderung digitaler Kompetenzen professionalisiert werden. "Die Sachverständigenkommission fordert die Bundesregierung auf, zielgruppenspezifische Referenzmodelle und einheitliche Qualitätsstandards für entsprechende Unterstützungsangebote zu erarbeiten."

Und die Kommission weist auf die große Bedeutung hin, die bestimmte Berufsgruppen, insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Pflege, Soziale Arbeit, auf das Leben älterer Menschen haben. "Das Ziel sollte es sein, bei den Angehörigen dieser Berufsgruppen eine umfassende Beratungs-, Reflexions- und Implementierungskompetenz im Hinblick auf einen angemessenen Einsatz digitaler Technologien auszubilden.

Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. In der obigen Abbildung wird die Integration der Unterstützungsangebote in die bestehenden Hilfesysteme genannt. Dazu gehört auch eine entsprechende Qualifizierung des Fachpersonals. Diese wird jedoch nur honoriert, wenn die Erbringung der digital gestützten Leistungen und die Unterstützung bei der Nutzung digitaler Angebote honoriert werden, das heißt in den Leistungskatalogen als erstattungsfähig aufgenommen werden. In meinem Buch sind diesen Herausforderungen rund 15 Seiten gewidmet, deren Kernpunkte in einem nächsten Blog behandelt werden.