Digitale Teilhabe 65 plus

Beobachtungen, Gedanken, Fragen und Tipps
zur Überwindung der Alterslücke bei der Nutzung von digitalen Medien

Portrait: Herbert Kubicek
Prof. Dr. Herbert Kubicek
Jahrgang 1946
Über mich
Thema heute:

Unterstützungsbedarfe von Onlinern: Von der Bedarfsäußerung zur Schätzung der wahrscheinlichen Nachfrage

In der Bremer Umfrage haben überraschend viele Onliner einen Bedarf an gelegentlicher Unterstützung geäußert. Nur 54,9 % hatten angegeben, dass sie alle Anwendungen selbständig ohne Hilfe nutzen. Die anderen haben oder brauchen zumindest gelegentlich Hilfe. Daher wurde konkret nach dem Hilfebedarf bei vier Themen und in drei verschiedenen Formaten gefragt.

Für die vier Themen:

addieren sich die Wünsche für

Ein solcher Unterstützungsbedarf wird weniger differenziert auch in anderen Umfragen festgestellt. In einer Umfrage der BertelsmannStiftung in der Bevölkerung ab 14 Jahre wünschen sich 46 % „Individuelle Hilfe von qualifizierten Computerexpert:innen per Telefon“ und 42% „Individuelle Hilfe von qualifizierten Computerexpert:innen, die bei Bedarf zu mir nach Hause kommen“ (Bürger und Grau 2021, S. 23) .

Als praktische Konsequenz werden kommunale Assistenzinfrastrukturen gefordert.

Der Bremer Senat hat in seinem Koalitionsvertrag ein Programm angekündigt, das „alters- und situationsgerechte Erfahrungsangebote in Begegnungszentren und -treffs sowie in Wohn- und Pflegeeinrichtungen fördert … und das für die immer wieder auftretenden Probleme bei der Nutzung "digitale Ambulanzen" schafft, die aufgesucht oder angerufen werden können.“

Dabei stellt sich für Kommunen die Frage, welche Kapazitäten sie bereitstellen müsste, wenn sie den geäußerten Bedarf ernst nehmen und allen älteren Einwohnerinnen und Einwohnern die benötigte Unterstützung für eine volle digitale Teilhaben bereitstellen wollen. Mit Sicherheit sollte man nicht die genannten Prozentzahlen auf die gesamte Bevölkerung ab 60 Jahre hochrechnen. Es ist kein Problem, dass in diesen Zahlen Mehrfachnennungen enthalten sind. Denn es ist realistisch, dass eine Person, für ein WLAN-Problem einen Hausbesuch wünscht, aber für Probleme mit den Einstellungen des eigenen Smartphones oder Tablets auch zu einer Sprechstunde in eine Begegnungsstätte geht.

Zwei Korrekturfaktoren

Korrekturen sind in zwei Richtungen erforderlich:
Auf der einen Seite werden nicht alle, die in der Umfrage einen Bedarf äußern, auch tatsächlich ein entsprechendes Angebot in Anspruch nehmen. In der Marktforschung ist Bedarf nicht gleich Nachfrage. Vielmehr ist zwischen Bedarfsträgern und Nachfragenden zu unterscheiden und ein prozentualer Anteil der Nachfragenden an den Bedarfsträgern zu schätzen. Auf der anderen Seite geht es nicht um die Anzahl der Nachfragenden, sondern um deren Nachfrage. Dabei ist davon auszugehen, dass „gelegentliche Hilfe“ oder “immer wieder auftretende Probleme“ bedeuten, dass eine Person ein gewünschtes Angebot innerhalb eines Jahres mehrfach in Anspruch nehmen wird. Man muss daher die Zahl der Nachfragenden mit der erwarteten Häufigkeit der individuellen Nachfrage multiplizieren.

Für beide Korrekturfaktoren gibt es keine generalisierbaren Erfahrungswerte. In der Marktforschung würde man mehrere Szenarien bilden und diese in einem mehrstufigen Panel mit Expertinnen und Experten aufgrund von Hypothesen über Einflussfaktoren auf die tatsächliche Nachfrage schrittweise validieren. Dabei spielen Annahmen über die Verteilung der Kompetenzen, präferierte Anwendungen, aber auch auf der Angebotsseite über die Werbung für diese Angebote eine Rolle.

Zwei Beispiel-Szenarien

Hier sollen beispielhaft ein Minimal-Szenario und ein mittleres Szenario gegenübergestellt werden. Im ersten Fall wird angenommen, dass keine größer angelegte Werbung erfolgt, die Kompetenzen für niedrigschwellige Anwendungen bereits hoch und der Bevölkerungsanteil Hochaltriger eher niedrig ist. Für das mittlere Szenario wird mit regelmäßiger Werbung in den Medien, einer gewissen Nutzung höherschwelliger Anwendungen und einem größeren Anteil Hochaltriger gerechnet.

Basis sind die absoluten Zahlen aus der Umfrage, hier für die Stadtgemeinde Bremen, die auf die Onliner in der Bevölkerung ab 60 Jahre hochgerechnet werden:

Gewünschte Unterstützungsformate in der Stadt Bremen
Stadtgemeinde BremenGewünschte UnterstützungBedarfsschätzung
(111.351 Onliner)
Absolute HäufigkeitProzent
Besuch41560.47252558
Hotline26250.29833183
Sprechstunde20150.22925500
Summe Antworten8796
Antwortende in (n)7441

So ergibt sich für Bremen Stadt eine Schätzung der Bedarfsträger von abgerundet 52.000 Personen, die sich Hausbesuche wünschen, 33.000 Personen, die eine Hotline wünschen, und 25.000 Personen, die Sprechstunden genannt haben.

Für das Minimal-Szenario wird angenommen, dass nur jede fünfte Person, die einen Bedarf geäußert hat, tatsächlich auch ein Angebot nachfragt, und zwar nur einmal im Jahr. Für das mittlere Szenario wird angenommen, dass jede dritte Person, die einen Bedarf geäußert hat, tatsächlich auch ein Angebot nachfragt. Aufgrund der Erfahrungen im Netzwerk Digitalambulanzen werden Hausbesuche von einer Person im Durchschnitt viermal angefordert, Sprechstunden im Durchschnitt zweimal im Jahr aufgesucht. Für Anrufe bei einer Hotline wird mangels vergleichbarer Erfahrungswerte eine durchschnittliche Frequenz von zweimal im Jahr angenommen.

Hochrechnung für ein Minimal-Szenario der Nachfrage
Minimal- SzenarioBedarfs­trägerNachfrage­quoteNachfra­gendeHäufigkeit pro JahrNachfrage
Besuch525580.210512110512
Hotline331830.2663716637
Sprech­stunde255000.2510015100
Tabelle: Hochrechnung für ein mittleres Szenario der Nachfrage
Mittleres SzenarioBedarfs­trägerNachfrage­quoteNachfra­gendeHäufigkeit pro JahrNachfrage
Besuch525580.3317344469376
Hotline331830.3310950221900
Sprech­stunde255000.3384153252450

Nach diesem Muster können Kommunen für eine kommunale Altenberichterstattung und Bedarfsschätzung in einer Excel-Tabelle andere Nachfragefaktoren und Häufigkeiten eine eigene Schätzung vornehmen und andere Faktoren einsetzen.