Digitale Teilhabe 65 plus

Beobachtungen, Gedanken, Fragen und Tipps
zur Überwindung der Alterslücke bei der Nutzung von digitalen Medien

Portrait: Herbert Kubicek
Prof. Dr. Herbert Kubicek
Jahrgang 1946
Über mich
06.12.2022

Verpflichtung der Kommunen für die Altenhilfe gilt nur bedingt - Analog auch für Digitale Teilhabe im Alter

Text-Tabelle, die auf der linken Seite die sechs im Sozialgesetzbuch vorgegebenen Zeile der Altenhilfe auflistet und rechts daneben die aktuellen digitalen Äquivalente.

Meine These: Kommunen sind gesetzlich zur Unterstützung Digitaler Teilhabe älterer Menschen verpflichtet

Der Untertitel zu meinem Buch "Digitale Teilhabe im Alter" lautet gezielt: "Bedarfsermittlung und Koordination im Rahmen der kommunalen Altenhilfe." Es gibt von vielen Seiten Forderungen, was getan werden muss, damit ältere Menschen im Zuge der Digitalisierung nicht abgehängt werden bzw. durch digitale Teilhabe ihre gesellschaftliche Teilhabe erhalten können, aber oft wird nicht konkretisiert wer was tun soll. Die Petition für ein digitales Existenzminimum, die im letzten Beitrag erwähnt wurde, ist an den Bundesarbeitsminister gerichtet. Er kann auf eine gesetzliche Regelung zur Übernahme der Kosten für Internetzugang und ggfs. von Geräten sorgen, aber nicht für flächendeckende Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs. Die kann auch das Bundesfamilienministerium nicht erzwingen, ebenso wenig wie die für ältere Menschen zuständigen Stellen auf Landesebene. Die Kommission für den Achten Altersbericht , der Fachbeirat Digitalisierung und Bildung für ältere Menschen" beim Bundesfamilienministerium und die Bertelsmann Stiftung sehen die Kommunen in der Pflicht, eine entsprechende Infrastruktur zu errichten. Ich verweise konkreter auf die Altenhilfe nach § 71 SGB XII (Sozialgesetzbuch ), für die nach allgemeiner Auffassung die Kommunen zuständig sind. Daraus ergibt sich allerdings nicht zweifelsfrei ein individueller Anspruch auf passende Angebote zum Kompetenzerwerb oder anderer Unterstützung zur digitalen Teilhabe. Denn diese werden im Gesetzeswortlaut nicht erwähnt:

§ 71 Altenhilfe

(1) Alten Menschen soll außer den Leistungen nach den übrigen Bestimmungen dieses Buches sowie den Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des Neunten Buches Altenhilfe gewährt werden. Die Altenhilfe soll dazu beitragen, Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern und alten Menschen die Möglichkeit zu erhalten, selbstbestimmt am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen und ihre Fähigkeit zur Selbsthilfe zu stärken.

Nach Absatz (2) kommen "insbesondere" die sechs oben in der Tabelle links genannten Einzelleistungen als Leistungen der Altenhilfe "in Betracht".

Zuständigkeit, Verpflichtung und Anspruch

Eine Zuständigkeit der Kommunen ergibt sich nicht unmittelbar aus diesem Wortlaut, sondern nur indirekt aus dem Kontext des Zwölften Buches, das die Sozialhilfe regelt. Für die Sozialhilfe sind die kreisfreien Städte und Kreise zuständig und damit auch für die Altenhilfe. Zuständigkeit bedeutet jedoch noch keine Verpflichtung zur Leistungserbringung wie bei anderen Aufgaben der Daseinsvorsorge in einem klar bestimmten Umfang. Die Kommission für den Siebten Altenbericht hat sich kritisch mit der Auffassung der kommunalen Spitzenverbände auseinandergesetzt, dass die Altenhilfe eine freiwillige Aufgabe mit großem Ausgestaltungsspielraum sei und daher hinter den vielen Pflichtaufgaben geringere Priorität habe. Eine Studie der BAGSO hat ergeben, dass dementsprechend die eingesetzten finanziellen Mittel im Jahr zwischen 0 und 34 Euro, im Durchschnitt bei 13,86 Euro pro berechtigter Person liegen.

Vor diesem Hintergrund hat die BAGSO ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, zu untersuchen "welche Verpflichtungen und Möglichkeiten sich aus § 71 SGB XII ergeben und welche gesetzgeberischen und begleitenden Maßnahme auf Bundes- und Landesebene möglich und notwendig sind, um Kommunen zu verpflichten, zumindest eine (ggf. den Bedarfen vor Ort angepasste) Grundausstattung an Teilhabeangeboten für ältere Menschen bereitzustellen." Dieses Gutachten wurde am 29. November veröffentlicht. Im Gegensatz zur Überschrift der Pressemeldung auf der BAGSO-Homepage "Kommunen müssen offene Altenarbeit sicherstellen" lese ich eindeutig eine Einordnung als "Soll-Aufgabe" mit großem Ermessensspielraum. Professsor Hellermann, Universität Bielefeld, schreibt:

"§ 71 SGB XII ist eine sozialhilferechtliche Vorschrift, die alten Menschen im Hinblick auf ihre individuellen altersbedingten Schwierigkeiten, soweit daraus im Einzelfall Bedarfe entstehen, ergänzend zu anderen Sozialhilfe- und Eingliederungsleistungen einen Anspruch auf persönliche Hilfeleistungen bietet. Es geht dabei vornehmlich um Beratungs-, Vermittlungs- und Unterstützungsleistungen, soweit solche vom jeweiligen örtlichen Träger vorgehalten werden, und ansonsten auch um Geldleistungen.....

Die durch § 71 SGB XII begründeten individuellen Ansprüche werden jedoch wesentlich dadurch begrenzt, dass sie zwar Beratungs- und Unterstützungs- oder Geldleistungen gewähren, die die Inanspruchnahme von bestimmten Dienstleistungen, Veranstaltungen oder Einrichtungen erleichtern oder ermöglichen, der einzelne Anspruchsberechtigte vom örtlichen Sozialhilfeträger im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens aber nicht die Bereithaltung solcher bestimmter Dienstleistungen, Veranstaltungen oder Einrichtungen verlangen kann. Soweit weder der örtliche Sozialhilfeträger noch andere öffentliche, gemeinwirtschaftliche oder private Stellen solche Angebote vorhalten, drohen die den Zugang dazu erleichternden bzw. ermöglichenden Ansprüche nach § 71 SGB XII ins Leere zu laufen."

Mit einfachen Worten: Wenn ein Sozialhilfeträger Begegnungsstätten unterhält, können ältere Menschen verlangen, das es dort altersgerechte Angebote für ihre Bedarfe gibt. Wenn es diese Stätten zum Beispiel in einem Stadtteil nicht gibt, kann deren Errichtung nicht gefordert werden. Das ist nicht das erhoffte Ergebnis - vor allem nicht in Bezug auf digitale Teilhabe. Ehrenamtliche Initiativen, die ältere Menschen mit Übungsgruppen oder Sprechstunden unterstützen wollen, berichten, dass sie keine geeigneten Räume mit WLAN in ihrem Stadtteil finden.

Eine Verpflichtung zur Unterstützung digitaler Teilhabe kann nur im Analogieschluss abgeleitet werden

Unterstützung beim Erwerb digitaler Kompetenzen wird in den sechs im Gesetz genannten Bereichen nicht genannt. Weil diese "insbesondere..in Betracht kommen" betont der Gutachter, dass diese Aufzählung nicht abschließend sein kann. Zudem handle es sich um Ziele und nicht um konkrete Maßnahmen, sodass auch andere Maßnahmen unter die Verpflichtung fallen, die geeignet sind, diese Ziele zu erreichen. Das gilt dann für die auf der rechten Seite der Tabelle genannten digitale Äquivalente. Um einen individuellen Anspruch zu begründen, nennt das Gutachten zwei tatbestandliche Voraussetzungen:

(1) Es muss sich um Maßnahmen zur Deckung ""von zusätzlichen, aus den körperlichen, seelischen oder geistigen Alterserschwernissen herrührenden individuellen Bedarfslagen" bzw. Schwierigkeiten handeln.

(2) Die für die Maßnahmen erforderlichen Einrichtungen oder Strukturen (wie z.B. Altencafés, Begegnungsstätten als Anlaufstellen für Beratung und Unterstützung müssen bereits vorhanden sein.

Ich denke, die vergleichsweise geringe Nutzung des Internet und digitaler Medien mit zunehmendem Alter kann auf mit dem Alter zunehmende körperliche, seelische und geistige Schwierigkeiten zurückgeführt werden. Allerdings könnte man einwenden, das keine mit dem kalendarischen Alter zusammenhängende eindeutige Kausalität besteht. Es gibt auch 80-Jährige, die das Internet kompetent nutzen. Die Bremer Umfrage und die SIM- Studie haben jedoch Einflüsse von Einschränkungen der Mobilität und des Gedächtnisses aufgezeigt und generell gilt die im Alter häufiger zu beobachtende geringe Selbstwirksamkeit als gewichtige Ursache für die geringere Internetnutzung. Daher kann auf einen Nachweis einer individuellen Bedarfslage verzichtet werden.Schwieriger ist die inhaltliche Begründung für die Schaffung von Angeboten wie Tablet-oder Smartphone-Übungsgruppen, Sprechstunden oder Hausbesuchen zur Unterstützung bei der digitalen Teilhabe. Sie passen nicht direkt in eine der sechs ausdrücklich genannten Bereiche, sondern sind eine Voraussetzung dafür, dass diese vorhandenen Angebote auch von allen älteren Menschen genutzt werden können. Das Gutachten von Professor Hellermann geht auf digitale Teilhabe und dazu erforderliche Maßnahmen leider nicht ein, obwohl die BAGSO den DigitalPakt Alter koordiniert. In der exemplarischen Erörterung einzelner Leistungen nennt er jedoch auch die Übernahme von Fahrtkosten, die Beförderung zu Veranstaltungen für Senioren oder die Mitfinanzierung von Telefon-oder Fahrtkosten sowie die Zurverfügungstellung von Fahrdiensten. Wenn also der Zugang zu den im Gesetz genannten Leistungen selbst als Leistung der Altenhilfe gezählt wird, dann muss dies analog auch für den digitalen Zugang zu den digitalen Angeboten gelten. Ein Finanzierungsbedarf bei WLA und Smartphone oder Tablets hängt weniger vom Alter als vom Einkommen ab und wird daher aus anderen Anspruchsgrundlagen im Rahmen der Sozialhilfe gefordert werden können. Aber Kompetenzerwerb oder Assistenz erfüllen aus dieser Perspektive beide tatbestandlichen Voraussetzungen.

Letztlich entscheiden die Sozialhilfeträger und sollten gefragt werden

Angesichts des unstrittigen Ermessensspielraums entscheidet jeder Sozialhifeträger selbst, also Städte und Kreise über Art und Umfang der Unterstützung zur digitalen Teilhabe im Alter. Sie werden sich unter der Last vieler anderer Versorgungsaufgaben nicht ohne Anstoß von außen zum Ausbau entsprechender Angebote verpflichten. Eltern machen Druck, dass die Digitalisierung der Schulen vorangeht. Seniorinnen und Senioren sind teilweise selbst unsicher und haben insgesamt keine vergleichbare Lobby. Seniorenbeiräte und Seniorenbüros aber auch die Altersgruppierungen in den Parteien könnten als Lobby wirken und zum Beispiel Bürgeranfragen an Stadträte und Kreistage richten und fragen, wie sie zu den hier begründeten Interpretationen der Rechtslage stehen und auf die entsprechenden Forderungen reagieren wollen. In meinem Buch argumentiere ich, dass die allererste Aufgabe in einer Bestandsausnahme und Bedarfsermittlung besteht, die anschließend zu einem kommunalen Altenplan führt, in dem die Digitalisierung von vielen Verwaltungs- und Gesundheitsleistungen und der Angebote der Altenhilfe sowie der daraus resultierende Unterstützungsbedarf angemessen berücksichtigt werden.

Weitere Infos: BAGSO_Rechtsgutachten_Altenhilfe_.pdf

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